Das Monopol
vor seinem inneren Auge ablaufen. Wie hatte er das nur zulassen können? Die Bank war versiegelt gewesen. Innen und außen von zwanzig GDF-Soldaten bewacht und von Videokameras gesichert. Sie waren kurz davor gewesen, die Beweise in die Hand zu bekommen, mit deren Hilfe einer der grausamsten Paten mitsamt seinen Spießgesellen für den Rest seines Lebens hinter Gitter gewandert wäre. Tausende von Italienern und andere Europäer wären gerächt worden: Männer, Frauen, Kinder, die unter Arcangelos Morden und Diebstählen, dem Drogenhandel und der Prostitution gelitten hatten. Geopfert worden waren.
Die entscheidenden Beweise waren zwar verschwunden, doch die Cyberspezialisten der GDF hatten Leonida mitgeteilt, dass sie beileibe nicht dem Feuer zum Opfer gefallen waren. Irgendjemand hatte sie vor der Explosion aus der Datenbank des Hauptcomputers gezogen und lediglich unbespielte Disketten und Bänder hinterlassen, die später ein Raub der Flammen wurden. Wie hatte das geschehen können?
Leonida stand vom Wohnzimmersofa auf – wenn er unter seinen Anfällen von Schlaflosigkeit litt, wollte er seine Frau nicht stören – und schenkte sich noch einen Whisky Soda ein. Es war nicht die persönliche Niederlage, die ihm zu schaffen machte; er tat, was er konnte, und das wussten sowohl die Medien als auch seine Wähler nur zu gut. Was ihn peinigte, waren die vier Jahre, die er in die Ermittlung gegen Arcangelo investiert hatte. Während dieser vier Jahre hatte er die Ermittlungen gegen andere Mafiafamilien ruhen lassen. Welch eine Zeitverschwendung! Er fluchte leise vor sich hin und stürzte seinen vierten Drink hinunter. In diesem Augenblick klopfte es. »Avanti, avanti.«
Sein Leibwächter steckte den Kopf zur Tür herein. »Ein Anruf.«
Automatisch sah Leonida auf die Uhr. »Um zwei Uhr morgens?« Er seufzte. »Wer ruft denn um diese Zeit an?«
»Er sagt, er heißt Pat Carlton. Vom Justizministerium in Washington.« Leonida sprach des Öfteren mit dem amerikanischen Justizministerium, aber wer sollte ihn zu dieser Stunde anrufen? Und dann auch noch zu Hause?
Er nahm den Hörer ab. »Leonida am Apparat. Wissen Sie eigentlich, wie spät es hier ist. Was wollen Sie?« Er sprach fehlerlos Englisch, allerdings mit starkem Akzent.
»Verzeihen Sie, dass ich Sie zu dieser Stunde störe. Ich wollte Ihnen die Information schon seit ein paar Tagen geben, habe es aber nicht geschafft.«
»Welche Information?«
»Die Information aus dem Computer in der Banco Napolitana. Über Don Arcangelo.«
Leonida wurde sofort hellwach. Er stellte das Glas hin. »Sie wissen, dass die Bank in Flammen aufgegangen ist und sämtliche Computerinformationen über Arcangelo verloren gingen, nicht wahr?«
»Genau deswegen rufe ich an.«
»Um was für eine Information handelt es sich denn?«
»Um alle, die Sie benötigen.«
Nun musste Leonida sich setzen. »Alle? Soll das ein Scherz sein? Ich versichere Ihnen …«
»Ich habe keine Zeit für Scherze.«
»Sagen Sie mir, wie Sie an diese Information herangekommen sind.«
»Das darf ich leider nicht verraten. Wollen wir es mal so ausdrücken … die Information wurde abgerufen. Ich muss annehmen, dass Ihre Telefonleitungen angezapft sind. Deshalb kommt eine Übermittlung per Fax oder Internet nicht infrage, besonders, wenn man bedenkt, wie weit diese Verbrecher gegangen sind, um sämtliche Beweise zu vernichten. Und ich kann auch nicht davon ausgehen, dass die Information bei jemand anderem gut aufgehoben ist – das ist nur bei Ihnen der Fall. Deshalb bitte ich Sie, persönlich bei der US-Botschaft in Rom vorstellig zu werden. Fragen Sie nach dem Nachrichtendienst-Attaché Tom Pink. Er wird Ihnen die benötigten Informationen geben. Und zwar nur Ihnen.«
»Nachrichtendienst-Attaché? Sie meinen … CIA?«
»Ich habe großen Respekt vor Ihnen, Signor Leonida. Für Sie als Ankläger dürfte die Information unschätzbar wertvoll sein. Ich entschuldige mich noch einmal für den Anruf zu dieser späten Stunde. Gute Nacht, Sir.«
Später, am Morgen, nachdem er sich schlaflos herumgewälzt oder von amerikanischen Mafiapaten in Washington geträumt hatte, setzte Leonida sich zu seiner jungen Frau und den beiden Kindern an den Frühstückstisch. Mit verschwollenen Augen nippte er an seinem zweiten doppelten Espresso – ein Gegengift zu den vier Whiskys und dem Mangel an Schlaf. Der Leibwächter brachte die Morgenausgabe des Corriere della Sera. Die fette Schlagzeile fiel Leonida sofort ins Auge:
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