Das Monopol
Zoomobjektiv aufgenommen. Vor Schreck blieb ihm beinahe das Herz stehen. Unter dem Foto stand:
Erika Wassenaar (1975 -?)
Mein Gott …
Der »Tourist« aus Großbritannien – der Mann, der als britischer Tourist aufgetreten war – musste ihm das in die Tasche gesteckt haben. Carlton drehte sich um, ließ den Blick durch das weitläufige Einkaufszentrum schweifen. Der Mann war verschwunden.
Er stürmte die Rolltreppe hinauf, zwängte sich durch die Menge und handelte sich dabei Beschimpfungen ein. Doch als er das Stockwerk darüber erreicht hatte, wurde ihm klar, dass er den Mann nicht mehr einholen konnte.
Sie drohten Erika etwas anzutun! Plötzlich wurde ihm be- wusst, dass er sie nicht nur sehr gern hatte – er wollte diese Gefühle auch nicht mehr vor sich selbst verbergen. Dass Erika bedroht wurde, machte ihn viel wütender als die Gefahr für sein eigenes Leben. Flüchtig dachte er daran, ein Schimpfwort über das Foto mit den Diamanten zu kritzeln. Ungläubig starrte er auf den Hügel funkelnder Steine.
Carlton wusste nicht, wie viel fünfhundert hochweiße, leicht fehlerhafte Diamanten wert waren, doch nach dem Gespräch mit Therese de la Pierre schätzte er den Karatwert auf mehr als fünf Millionen Dollar. Mehr Geld, als er je im Leben verdienen würde. Steuerfrei.
Er könnte sich aus dem Berufsleben zurückziehen. Ein Haus kaufen. Nie mehr arbeiten. Würde in Sicherheit sein, ohne verfolgt oder gar getötet zu werden. Es war eine große Versuchung.
Carlton schwankte nur für einen Moment.
Wenn Waterboer, Fress und Churchman auch nur das Geringste über ihn wüssten, hätten sie so ein Spielchen niemals versucht. Sie hätten wissen müssen, wie sehr es ihn auf die Palme brachte. Dass er außer sich war vor Zorn.
Carlton rannte über die Straße zum Ministerium. Im Laufen kritzelte er eine Antwort auf die Rückseite des Hochglanzfotos.
Angebot abgelehnt. Möge Gott euren Seelen gnädig sein.
Er klebte den Umschlag mitsamt Schlüssel und Fotos darin wieder zu, adressierte ihn an Lester Churchman, Esq., bei der Agentur Fox, Carlyle und Partner in New York, und legte ihn zur ausgehenden Post.
Ein letztes Mal hörte er seine Anrufe ab und hoffte, dass Pink sich gemeldet hatte.
Fehlanzeige.
Carlton ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und starrte auf den unordentlichen Schreibtisch, die Bücherstapel, die Lampe mit dem grünen Schirm, die schmutzigen Fenster.
»Bis dann!« Vielleicht für immer.
28.
Das Bündnis
Molotoks Datscha am Aldan-Fluss
Republik Sacha (Jakutien), Sibirien
Russische Föderation, 20.04 Uhr
Ein unbarmherziger eisiger Wind fegte durch die sibirische Taiga, heulte Tag um Tag, Nacht um Nacht. Er brauste durch die Wälder des Nordens, über riesige Eiswüsten, durch kleine Dörfer mit Hütten und traditionellen Jurten. Tausende von Jahren war der Wind dem gleichen Winterweg gefolgt, hatte sich um kein Hindernis geschert. An solchen Tagen gab es in der grausamen Taiga nichts als Wind und Kälte und Einsamkeit.
Draußen war es eisig, doch aus dem heißen banja stieg Dampf auf. Das Bad gehörte zu Molotoks Datscha, die mit allem Komfort ausgestattet war, obwohl sie hunderte Meilen von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt war. Molotok saß im Bad und schlug mit einem Birkenzweig auf seinen mächtigen Leib, um die Blutzirkulation anzuregen; dabei atmete er den kräftigen Duft der Blätter ein. Er lehnte den Rücken an die Kachelleiste und nahm eine Flasche hundert Prozent reinen Stolichnaja-Wodka aus einem großen silbernen Sektkühler, der mit Eisstücken und Rohdiamanten gefüllt war. Molotok nahm einen großen Schluck von dem klaren Kartoffelschnaps, wischte sich den dichten Schnurrbart und reichte die Flasche an Uljanow weiter. »Noch ein Beitrag unserer Heiligen Mutter Russland zu den Kulturgütern der Welt.«
Die Tatsache, dass Wodka in Polen und nicht in Russland erfunden worden war, hätte den fanatischen Nationalisten vor Wut um den Verstand gebracht.
Uljanow, ebenfalls ein kräftiger und vor Gesundheit strotzender Mann, nahm die Flasche von seinem Herrn und Gebieter entgegen und nippte kurz daran. »Da. Gibt nichts Besseres als ein heißes russisches banja und Wodka, um sich zu entspannen und Appetit zu kriegen.«
Molotok schlug Uljanow mit seiner Riesenpranke auf den Rücken. Er nahm eine Hand voll Rohdiamanten aus der Mirnyj-Mine aus dem Kübel und ließ sie langsam durch die Finger rieseln. Nachdenklich betrachtete er die glitzernde
Weitere Kostenlose Bücher