Das Monster von Moskau
Monster, das keine Gnade kannte.
Wie passte das zusammen?
Dass Wanja’s Großmutter tot war, daran glaubte er fest. Und die Enkelin hatte die Stimme ihres Großvaters gehört. Ein traurige Stimme. Eine, die sich Vorwürfe machte.
Nur gesehen hatte sie ihn nicht. Und auch nicht den Mörder.
Wanja’s Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Als ich zum Haus ging, da habe ich gesehen, dass unser Hund auch tot ist. Er lag vor der Haustür. Sein Kopf war so komisch verdreht.«
»Wirklich?«
»Ja.« Wanja nickte. »Alle werden sterben, glaube ich, alle...«
***
Weinen!
Jemand weinte, das hörten wir beide. Es war ein sehr bitteres Weinen. Kein schnelles Schluchzen oder Weinen, das mehr einem Lachen gleicht. Wer hinter der Tür stand und seine Tränen vergoss, der hatte echte Probleme.
Es vergingen einige Sekunden, in denen wir uns nur anschauten. In den Augen der Agentin las ich zugleich einen fragenden und auch etwas verwirrten Ausdruck. Sie konnte das Geräusch nicht richtig zuordnen, und mir erging es nicht anders.
»Der Großvater...?«
»Wer sonst?«, flüsterte ich zurück.
»Ein Zombie, der trauert?« Karina hatte damit ihre Probleme, aber auch ich musste mich erst an die neue Lage gewöhnen. Auf keinen Fall dachte ich dabei an Kozak. Er weinte nicht. Das Monster war höchstens jemand, der um sich selbst trauerte, und dafür gab es bisher noch keinen vernünftigen Grund.
Es war müßig, hier lange herumzustehen. Um die Wahrheit zu erfahren, mussten wir die Tür öffnen.
Das tat Karina.
Ich ließ sie und deckte mit schussbereiter Waffe ihren Rücken. Sollte jemand von vorn kommen und angreifen, brauchte ich nur an ihr vorbeizuschießen und ihn zu treffen.
Karina war auch gespannt. Ihre sprungbereite Haltung veränderte sich nicht, und die Tür wurde Stück für Stück weiter aufgezogen, sodass wir schon sehr bald den größeren Raum überblicken konnten.
Er war leer.
Kein Mensch zeigte sich. Das Holz im Kamin zeigte eine dunkelrote Färbung. Graues Licht drang durch die Fenster und verteilte sich. Wenn jemand hier gewesen wäre, dann hätten wir ihn sehen müssen.
Karina stand vor der Schwelle und drehte ihren Kopf, sodass sie mich anschauen konnte.
»Das verstehe ich nicht«, sagte sie leise. »Wieso ist der Raum denn leer?«
Ich wusste nur eine Antwort. »Dann muss der Ankömmling eben verschwunden sein.«
»Glaubst du das?«
»Bis wir eine bessere Lösung haben, schon.«
»Gut.« Karina blieb nicht mehr stehen. Der Platz auf der Schwelle war ihr zu eng geworden. Sie trat einen Schritt nach vorn, dann noch einen und ging auf den Kamin zu, wo sie stehen blieb wie jemand, der sich seinen Rücken wärmen will.
Ich folgte ihr langsam und versuchte, möglichst lautlos zu gehen. Auch meine Blicke glichen einer Suche, aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich bekam keine fremde Person zu Gesicht.
»Beide können wir uns doch nicht getäuscht haben«, sagte Karina, als ich stehen blieb.
»Stimmt.«
Es wurde wieder ruhig, und dann hörten wir das Geräusch erneut. Es gab überhaupt keinen Zweifel. Jemand befand sich hier in unserer Nähe und schluchzte.
Das Geräusch besaß die gleiche Tonlage, aber ein Luftholen war zwischendurch nicht zu hören.
Karina bewegte den Kopf hin und her. Vergeblich hielt sie nach der weinenden Gestalt Ausschau. Nur hatte sie jetzt eine Lösung gefunden. »Es muss der tote Großvater sein, John, den wir hier hören. Ich glaube, das hat Wanja auch damit gemeint.«
»Wenn es stimmt, ist er unsichtbar.«
»Ja, es ist sein Geist, der unter diesen schrecklichen Qualen leidet.« Sie nickte. »Er kann keine Ruhe finden. Er kann nicht normal ins Jenseits eingehen. Also existiert er zwischen den Welten, und das kann ihm nicht gefallen.«
»Vielleicht hat er seiner Frau sogar noch helfen wollen«, murmelte ich und blieb nicht mehr stehen. Ich wollte mir eine Stelle suchen, an der ich das Weinen lauter hörte, und es war auch wichtig, dass ich den Geist spürte.
Es kam darauf an, wer er war und wie er zu bestimmten Dingen stand. Wenn ich es recht bedachte, trug ich sogar ein Lockmittel bei mir. Das Überlegen dauerte bei mir nicht lange. Ich zupfte im Nacken an der Kette und holte mein Kreuz Ihm vor.
Karina Grischin schaute mir dabei zu. Ihre Augen leuchteten. Sie begann zu lächeln. »Genau das ist es, John. Das hatte ich dir vorschlagen wollen. Vielleicht kannst du ihn damit locken.«
Ich kam mir schon ein wenig vor wie ein Wünschelrutengänger, als ich mit dem
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