Das Monster von Moskau
Kreuz in der Hand in die Mitte des Raumes schritt und dort erst mal wartete.
Das Weinen blieb noch bestehen. Es hatte sich nur verändert. Kürzere Schluchzlaute waren zu hören. Alles wies auf eine gewisse Hektik hin. Und das Geräusch erreichte mich von vorn. So war es kein Problem, den Ort zu lokalisieren.
Ich ging dem Weinen entgegen...
Es blieb in den nächsten beiden Sekunden bestehen, aber es verstummte urplötzlich.
Ich stand.
»Was ist?«, flüsterte mir Karina zu.
»Das kann ich noch nicht sagen.« Ich schaute auf das Kreuz in meiner Hand. »Jedenfalls höre ich das Weinen nicht mehr.«
»Spürst du denn etwas?«
»Nein, es ist alles so still geblieben, aber ich bin sicher, dass der Geist nicht verschwunden ist.« Das konnte ich deshalb behaupten, weil ich auf dem Metall des Kreuzes etwas zittern sah, das aussah wie silbriger Staub.
Es hatte reagiert, aber nicht mit einem Wärmestoß, sondern anders, um mir zu zeigen, dass ich es wohl nicht mit einer dämonischen Gefahr zu tun hatte.
Es war jetzt wichtig, nichts zu überstürzen. Die Nerven unter Kontrolle halten. Alles langsam angehen, denn ich wollte diesen Spuk auch nicht vertreiben.
Als sich nichts ereignete, trat ich nach vorn. Jetzt wollte ich es locken oder provozieren. Bereits nach dem ersten Schritt passierte es. Etwas Kaltes wehte mir entgegen. Zugleich hörte ich den leisen Ruf meiner Begleiterin, und dann sah auch ich, was sie so erschreckt hatte.
Vor mir stand etwas in der Luft. Ein weißes und zugleich milchiges Gebilde, von dem die Kälte abstrahlte, die eine besondere Eigenschaft hatte. Sie war nicht feucht, sie kam mir trocken vor, und sie dampfte aus dem Nebel heraus.
Ich ging nicht mehr weiter. Der Anblick der Gestalt faszinierte mich. Obwohl man sie wirklich nicht als Mensch bezeichnen konnte – nicht mal die Umrisse hatte sie , hörten wir doch wieder diese so menschliche Reaktion. Das Weinen blieb auch weiterhin bestehen. Das trockene Schluchzen. Die Verzweiflung darin. Eine Reaktion auf ein schlechtes Gewissen, das auch der Tod nicht mehr egalisieren konnte.
Die alte Frau lag tot im Nebenzimmer. Möglicherweise hatte der Geist vor mir das kommen sehen. Er war erschienen, um ihr zu helfen. Aber er hatte es nicht mehr geschafft. Die Zeit war einfach zu spät gewesen, und genau das war sein Problem.
Auch in seiner Existenzebene machte er sich Vorwürfe. Er litt schwer darunter, dass er es nicht mehr geschafft hatte, ein Leben zu retten. Das Leben seiner geliebten Frau. Ich glaubte, dass er jetzt noch weniger Ruhe finden würde. Die anderen Geister würden sich an der Kirche treffen, wenn die Geschichte stimmte. Nur glaubte ich nicht mehr daran, dass er noch dazugehörte.
Ich beobachtete die Gestalt genau. Ihre Umrisse zeichneten sich scharf ab. In ihnen befand sich die Masse, die nicht mal so dünn war. Sie erinnerte mich an das Ektoplasma, das hin und wieder bei bestimmten Séancen aus den Mündern der medial begabten Menschen drang, die Mittler zwischen den Welten sein wollten.
Auch Karina hatte ihr erstes Staunen überwunden. Sie konnte wieder tief durchatmen. Dabei schluckte sie, denn die Haut an ihrem Hals bewegte sich.
»Nicht, dass ich etwas hätte, John, aber es ist der erste Geist, den ich sehe. Ich hätte bis jetzt nicht gedacht, dass es sie tatsächlich gibt.«
»Doch, Karina. Allerdings nur, wenn besondere Dinge Zusammentreffen. Da muss man schon die richtigen Ereignisse haben.«
»Ja, das ist wohl so.« Sie wartete mit ihren nächsten Frage. »Und was fühlst du?«
»Sehr deutlich seine Nähe. Und die besteht aus Kälte. Ja, es ist eine Kälte vor mir.«
»Sehr gut. Aber wie willst du mit ihm umgehen? Du kannst ihm doch keine Fragen stellen – oder?«
So sicher war das nicht, denn ich hatte schon des Öfteren Stimmen und Nachrichten aus dem Jenseits oder aus anderen Dimensionen und Sphären bekommen. Warum sollte das in diesem Fall nicht klappen? Das einzige Hindernis war die Sprachbarriere. Aber auch das musste irgendwie zu schaffen sein. Unter Umständen musste mir Karina helfen.
»Ich bin sicher, dass er mir oder uns etwas mitteilen möchte, aber ich weiß nicht, wie ich an ihn herankomme«, sagte ich leise.
»Kannst du ihn nicht einfach ansprechen?«, flüsterte sie.
»Daran habe ich auch gedacht. Nur wird er mich nicht verstehen können. Und ob im Reich der Geister jede Sprache der Welt verstanden wird, daran kann ich auch nicht so recht glauben.«
»Dann bleibe ich
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