Das Monster von Moskau
übrig.«
»Genau.«
Karina sagte zunächst nichts. Aber sie freundete sich mit dem Gedanken an, denn sie fragte: »Was soll ich tun?«
»Sprich ihn einfach an.«
»Ha! Und dann?«
»Wirst du sehen, ob er dir Antwort gibt oder nicht.«
Sie schaute auf das neblige Gebilde. Ihre nächste Frage klang etwas lächerlich, war aber durchaus ernst gemeint. »Was soll ich denn zu ihm sagen? He, Geist, hör mal her. Ich muss jetzt von dir Antworten über einen Mörder haben...«
»So nicht. Aber die Richtung stimmt schon. Außerdem wirst du von mir noch etwas bekommen. Ich kann es nicht beschwören, aber ich meine, dass es der richtige Weg ist.«
»Was meinst du denn damit?«
Ich streckte ihr das Kreuz entgegen. »Hier, nimm es. Es ist unserer Chance. Ich setze darauf, dass es dir eine Brücke baut, und über die wirst du dich verständigen können.«
Sie wusste noch immer nicht, ob sie mir glauben konnte. »Meinst du wirklich?«
»Ich sehe sonst keine andere Chance. Er will ja etwas. Ebenso wie wir. Er spürt, dass wir an einem Wendepunkt stehen. Wäre es anders, dann wäre er nicht gekommen oder längst schon wieder verschwunden. Stattdessen wartet er darauf, dass etwas passiert.«
Meine Worte hatten Karina überzeugt. Sie atmete ein und streckte mir dann die rechte Hand entgegen, auf die ich das Kreuz legte. Karina hatte jetzt den direktesten und auch intensivsten Kontakt bekommen, den man sich vorstellen konnte. Ihrem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass es ihr gut tat, das Kreuz zu halten.
»Okay?«, fragte ich.
»Ja.«
»Dann bitte...«
***
Karina stellte keine Frage mehr. Ab jetzt konzentrierte sie sich auf eine Aufgabe, die ihr völlig neu war. Sie hatte mich bei Aktionen erlebt, in denen mein Kreuz eine wichtige Rolle gespielt hatte. Dass sie diesen Part jetzt übernahm, war schon gewöhnungsbedürftig für sie.
Aber sie hatte mich bei diesen Aktionen gut beobachtet und versuchte es auf eine ähnliche Art und Weise. Während sie die Hand mit dem Kreuz nach vorn und der Erscheinung entgegenstreckte, löste sich eine Frage von ihren Lippen, die auch ich verstand.
»Wer bist du?«
Leider erhielt sie keine Antwort. Weder auf dem normalen, noch auf dem geistigen Weg. Ich sah es ihr deutlich an. Wäre es anders gewesen, sie hätte auch anders reagiert.
Und so wiederholte sie die Frage.
Nichts...
Ich war der Beobachter und leider kein Regisseur. Ich konnte keiner der beiden Personen erklären, wie sie sich zu verhalten hatten. An Karina’s Stelle hätte ich auch nicht anders reagiert.
Die Erscheinung blieb. Sie war dicht, aber auch feinstofflich. Sie schien aus Ektoplasma zu bestehen, dem Material, für das Geister bekannt sind, wenn sie sich zeigen. Trotzdem war nicht zu erkennen, ob es sich hier um den Geist einer Frau oder eines Mannes handelte. Da mussten wir Wanja’s Worten vertrauen, dass es sich bei dieser Erscheinung um ihren Großvater handelte.
Karina gab so leicht nicht auf. Sie versuchte es weiter. Sie sprach den Geist intensiver an. Ich verstand jetzt nichts mehr, weil sie auf ihn einredete und dabei schnell sprach.
Auch das reichte nicht. Sie erzielte keine Reaktion bei der Erscheinung.
Ich hatte Mitleid mit ihr. Sie hatte sich auf das Kreuz verlassen. In diesem Fall schien es nicht der richtige Weg zu sein. Die Erscheinung stand mitten im Raum und verhielt sich völlig passiv. Es wies auch nichts darauf hin, dass sie sich wehren oder angreifen würde.
Karina drehte sich nach links, um mich anzuschauen. Dabei zuckte sie hilflos die Achseln. »Es... es... tut mir Leid, John, aber ich schaffe es nicht.« Sie schaute das Kreuz an. »Es ist unmöglich, eine Verbindung herzustellen. Sie weigert sich oder auch er. Ich bin überfragt, John.«
»Ja, das scheint mir auch so zu sein. Was hast du sie denn gefragt?«
»Ich habe ihr sehr einfache Fragen gestellt. Warum sie gekommen ist und so weiter.«
»Und? Was sagte der Geist?«
»Er sagte schon mal nichts.«
» Sorry , das war falsch ausgedrückt. Du hattest auch keinen geistigen Kontakt?«
»Nein.«
»Hast du überhaupt etwas gespürt?«
»Nein, nur das Kreuz. Es muss etwas gespürt haben, aber es war auch kein Mittler.«
Da war guter Rat teuer. Ich wusste auch nicht, was ich unternehmen sollte. Drastische Maßnahmen konnte und wollte ich nicht ergreifen. Auf keinen Fall sollte die Erscheinung enttäuscht werden. Auch wenn ich bisher noch nichts erreicht hatte, sah ich sie als einen Boten an. Der Geist eines Toten hatte keine Ruhe
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