Das Monster von Moskau
die kniende Person musste er wie ein Riese wirken, als die den Kopf drehte und zu ihm hochschaute.
Valentin erkannte sie.
Es war die alte Malinka Tschernigow, eine Freundin von Zita. Die beiden Frauen waren beinahe wie Schwestern gewesen. Klar, dass Malinka nun Totenwache hielt.
Auch sie hatte Valentin erkannt und flüsterte: »Ja, du bist es. Du kommst spät, zu spät...«
Er hob die Schultern, weil er nicht wusste, was er darauf erwidern konnte. Malinka hatte so Recht. Er war zu spät gekommen und hatte das Leben der Zita nicht retten können. Sie lag noch immer so auf dem Bett, wie ihr Mörder sie umgebracht hatte, und sie bot einen schlimmen Anblick.
Valentin fragte sich, ob Kozak sich bei seiner Tat in ein Tier verwandelt hatte. Eine Antwort darauf konnte er nicht geben.
»Ich wusste nicht, Malinka«, entschuldigte er sich.
»Ja, so sagt man. Aber wir hätten es wissen müssen, Valentin. Es gab die Vorzeichen. Einiges hat darauf hingewiesen. Die hundert Jahre sind vorbei.«
»Du kennst den Fluch auch?«
»Sicher. Nur spricht niemand über ihn. Wir hätten es tun sollen, um uns dann zusammenzuschließen. Dann hätten wir ihm vielleicht gegenübertreten können. Aber jetzt ist sie tot.«
Malinka schaute Valentin noch immer an. Er sah die Tränen in den schmalen Augen schimmern, die von einem dichten Kranz aus Falten umgeben waren. Die knotigen Finger hatte die Frau zusammengekrampft und die Hände so zum Gebet gefaltet.
»Es ist gut, dass du hier bist.«
»Das weiß ich, Valentin. Ich bete für sie. Aber sie war immer ein guter Mensch. Sie wird in die Glückseligkeit eingegangen sein und jetzt das Strahlen des Himmels erleben.«
»Bist du sicher?«
Malinka atmete gepresst. »Nein, nicht sehr. Ich glaube, dass uns ihre Seele noch nicht verlassen hat. Dass sie noch irgendwo hier herumirrt. Sie kann sich nicht befreien, solange der verdammte Mörder noch unter uns weilt. Erst wenn sein Schicksal endgültig besiegelt ist, kann sie die Freuden des Himmels genießen.«
Da stimmte ihr Valentin zu, doch er musste noch etwas sagen, das mit der Realität zu tun hatte.
»Du weißt, dass sie jemanden zurücklässt.«
»Ja, das Mädchen Wanja.«
»Wir sollten uns um sie kümmern.«
Der Mund der alten Frau, der eine Krümmung wie ein Halbmond zeigte, bewegte sich. »Wir wissen es alle, und wir werden sie nicht aus unserer Gemeinschaft entlassen. Sie wird eine Gastfamilie finden, aber zunächst kann sie bei mir wohnen.«
»Das ist schon gut.«
»Hilf mir hoch, Valentin. Vom langen Knien sind meine Glieder steif geworden.«
Er streckte ihr die Hand entgegen, die Malinka umklammerte. Mit einer schwerfälligen Bewegung stand sie auf und blieb leicht zitternd stehen. Sie fuhr durch ihr Gesicht, schaute auf die Tote und sagte leise: »Ich habe ihr die Augen geschlossen, denn ich wollte ihren Totenblick nicht mehr sehen.«
»Das kann ich verstehen.«
»Dann lassen wir sie allein«, schlug Malinka vor. »Und auch in der Dunkelheit.« Sie blies die Flammen der vier Kerzen aus, und augenblicklich erhielt der Raum eine gespenstische Atmosphäre, in der nichts mehr klar erschien und die Schatten überwogen.
Ein Zimmer, das nicht mehr in der normalen Welt zu liegen schien, sondern in einem Reich zwischen dem Leben und dem Tod, in dem die Seelen der Verstorbenen darauf warteten, weiter wandern zu können, bis sie das Licht erreichten.
Die Leiche auf dem Bett war nur mehr ein Schatten, der sich genau anpasste.
Sie gingen. Erst als Valentin die Haustür geschlossen hatte, sprachen sie wieder.
»Bist du nur gekommen, um nach Zita zu sehen?«
Valentin schaute auf die wesentlich kleinere Frau herab. »Nein, bestimmt nicht.«
»Sondern?«
»Ich wollte woanders hin...«
Malinka lächelte wissend. »Du hast dir auch Unterstützung geholt, erzählt man sich.«
»Das habe ich.«
»Und du wolltest zur Kirche. Du willst sehen, ob sich der verdammte Fluch erfüllt.«
»Das hatte ich vor.«
Malinka atmete durch die Nase aus und nickte. »Dann werden wir gemeinsam gehen«, schlug sie vor. »Denn auch ich bin es meiner Freundin schuldig, dabei zu sein.«
Valentin sagte nichts. Allerdings spürte er den Widerstand in sich hochsteigen, doch er wusste auch, wie sinnlos es war, sich gegen den Vorschlag stemmen zu wollen. Wenn er ablehnte, würde es Malinka auf eigene Faust versuchen, und so etwas konnte unter Umständen schlimmer ausgehen.
Trotzdem versuchte er indirekt, sie davon abzuhalten. »Du weißt, dass es
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