Das Monstrum
zurück.
»Ja, sie ist mit Zaumzeug und Kandare hier aufgekreuzt«, sagte Bobbi, und ihre Stimme klang etwas erstaunt. »Früher wäre es ihr vielleicht sogar gelungen, mich zu holen. Aber so, wie die Dinge jetzt liegen, hatte sie absolut keine Chance.«
Gardener war kalt. Diese Bemerkung konnte man auf vielfältige Weise interpretieren, nicht?
»Es überrascht mich dennoch, dass du nur einen einzigen Abend gebraucht hast, um sie zu überzeugen«, sagte Gardener. »Ich habe immer gedacht, Patricia McCardle wäre schlimm, aber verglichen mit deiner Schwester war die gute Patty ein Unschuldslämmchen.«
»Ich habe nur ein wenig von der Schminke weggewischt. Als sie sah, was darunter war, kreischte sie und rannte so
schnell davon, als hätte sie Düsen in den Absätzen. War eigentlich ziemlich komisch.«
Das war plausibel. Es war so plausibel, dass die Versuchung, es zu glauben, fast unüberwindbar war. Wenn man die schlichte Tatsache außer Acht ließ, dass die fragliche Dame ohne fremde Hilfe überhaupt nicht hätte fliehen können, schon gar nicht schnell. Die Dame hatte kaum ohne fremde Hilfe gehen können.
Nein, dachte Gardener. Sie ist nie gegangen. Die Frage ist nur, ob du sie umgebracht hast oder ob sie zusammen mit Peter in diesem verdammten Schuppen ist.
»Wie lange werden die körperlichen Veränderungen noch andauern, Bobbi?«, fragte Gardener.
»Nicht mehr lange«, sagte Bobbi, und Gardener fand erneut, dass Bobbi nicht lügen könnte. »Da sind wir. Park beim Unterstand.«
4
Am folgenden Abend hörten sie früh auf – die Hitzewelle dauerte noch an, und keiner der beiden fühlte sich imstande, durchzuhalten, bis das letzte Licht erloschen war. Sie kehrten ins Haus zurück, schoben ihr Essen auf den Tellern hin und her und aßen sogar etwas davon. Nachdem das Geschirr gespült war, sagte Gardener, er werde einen Spaziergang machen.
»Hä?« Bobbi sah ihn mit diesem argwöhnischen Ausdruck an, der so etwas wie ihr Markenzeichen geworden war. »Ich dachte, du hättest heute ausreichend Bewegung an der frischen Luft gehabt.«
»Jetzt ist die Sonne untergegangen«, sagte Gard leichthin.
»Es ist kühler. Keine Insekten. Und …« Er sah Bobbi nachdrücklich an. »Wenn ich auf die Veranda gehe, nehme ich eine Flasche mit. Wenn ich eine Flasche mitnehme, betrinke ich mich. Wenn ich einen langen Spaziergang mache und müde zurückkomme, dann kann ich vielleicht einmal nüchtern zu Bett gehen.«
Das alles stimmte durchaus – aber es verbarg sich noch eine andere Wahrheit darinnen, wie ein chinesisches Kästchen in einem anderen. Gardener sah Bobbi an und wartete, ob sie nach diesem inneren Kästchen suchen würde.
Sie tat es nicht.
»Also gut«, sagte sie, »aber du weißt, dass es mir egal ist, wie viel du trinkst, Gard. Ich bin deine Freundin, nicht deine Frau.«
Ja, es ist dir egal, wie viel ich trinke – du hast es mir sehr leicht gemacht, soviel zu trinken, wie ich wollte. Weil es mich neutralisiert.
Er ging an der Route 9 entlang, an Justin Hurds Haus vorbei, und als er die Nista Road erreichte, wandte er sich nach links und schritt mit schwingenden Armen rasch aus. Die Arbeit des vergangenen Monats hatte ihn kräftiger gemacht, als er es für möglich gehalten hatte – vor nicht allzu langer Zeit hätte ihn sogar ein Zwei-Meilen-Spaziergang wie dieser erschöpft und seine Knie weich werden lassen.
Dennoch war es unheimlich. Kein schreiender Ziegenmelker begrüßte die einbrechende Dämmerung; kein Hund bellte ihm nach. Die meisten Häuser waren dunkel. Hinter den wenigen erleuchteten Fenstern, an denen er vorbeikam, flackerte kein Fernseher.
Wer will schon eine Wiederholung von Barney Miller sehen, wenn er stattdessen »werden« kann?, dachte Gardener.
Als er das Schild mit der Aufschrift ENDE DER STRASSE
200 YARDS erreichte, war es fast völlig dunkel, aber der Mond ging auf, und die Nacht war sehr klar. Am Ende der Straße kam er an die an zwei Pfosten gespannte schwere Kette. Ein rostiges, löchriges BETRETEN VERBOTEN-Schild hing daran. Gard kletterte über die Kette, ging weiter und stand wenig später in der verlassenen Kiesgrube. Das Mondlicht auf den unkrautüberwucherten Hängen war weiß wie Knochen. Gardeners Kopfhaut kribbelte in der Stille.
Was hatte ihn hierher geführt? Sein eigenes »Werden«, vermutete er – etwas, was er in Bobbis Verstand aufgeschnappt hatte, ohne es zu merken. So musste es gewesen sein, denn was ihn hierher geführt hatte, war stärker gewesen als
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