Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
wirklich?«
    »Ja.« Er ging über die harten, spitzen Kieselsteine der Einfahrt zum Rasen. Und er stellte die Frage, um derentwegen er die ganze Reise auf sich genommen und seinen Selbstmord aufgeschoben hatte: »Ist alles in Ordnung mit dir, Bobbi?«
    Das Zittern ihrer Stimme ließ nach, aber Gardener konnte sie immer noch nicht deutlich sehen – die Sonne war längst hinter den Bäumen versunken, die Schatten waren pechschwarz. Er fragte sich, wo Peter war.
    »Mir geht es prächtig«, sagte Bobbi, als wäre sie schon immer so schrecklich dünn gewesen, als hätte sie Ankömmlinge vor ihrer Tür schon immer mit einer Stimme empfangen, die schrill vor Angst war.

    Sie kam die Verandastufen herunter und trat aus dem Schatten des überhängenden Verandadachs. Als sie das getan hatte, konnte Gardener sie im aschfahlen Zwielicht erstmals deutlich sehen. Entsetzen und Fassungslosigkeit erfüllten ihn.
    Bobbi kam auf ihn zu, sie lächelte und war offensichtlich froh, ihn zu sehen. Ihre Jeans flatterten an ihr, ebenso ihre Bluse; ihr Gesicht war hager, die Augen lagen tief in den Höhlen, ihre Stirn war blass und irgendwie zu breit, die Haut straff und glänzend. Das ungekämmte Haar fiel ihr in den Nacken und lag auf ihren Schultern wie ans Ufer gespülter Tang. Ihre Bluse war falsch geknöpft, der Reißverschluss ihrer Jeans zu drei Vierteln offen. Sie roch nach Schmutz und Schweiß und … nun, als wäre ihr ein Malheur passiert und sie hätte dann vergessen, den Slip zu wechseln.
    Plötzlich erschien ein Bild vor Gardeners innerem Auge, ein Foto von Karen Carpenter, das kurz vor ihrem angeblich durch Anorexia nervosa herbeigeführten Tod aufgenommen worden war. Für ihn war es das Bild einer bereits toten, aber dennoch irgendwie lebenden Frau gewesen, einer Frau, die nur aus lächelnden Zähnen und schreiend fiebrigen Augen bestand. So sah Bobbi jetzt aus.
    Sie hatte bestimmt nicht mehr als zwanzig Pfund verloren – mehr konnte sie sich nicht leisten, wenn sie auf den Beinen bleiben wollte –, aber Gards schockierter Verstand beharrte darauf, dass es wahrscheinlich dreißig waren, sein mussten.
    Sie schien am allerletzten, schäbigen Ende einer Entkräftung zu sein. Ihre Augen waren riesig und glänzten, wie die Augen jener armen, unglücklichen Frau auf der Titelseite der Zeitschrift, ihr Lächeln war das breite hirnlose Grinsen eines k.o.-geschlagenen Boxers, kurz bevor die Knie unter ihm nachgeben.

    »Prächtig!«, wiederholte das schlotternde, schmutzige Skelett, und als Bobbi näher kam, konnte Gard wieder das Zittern in ihrer Stimme hören – nicht Angst, wie er gedacht hatte, sondern völlige Erschöpfung. »Dachte schon, du hättest mich aufgegeben. Schön, dich zu sehen, Mann!«
    »Bobbi … Bobbi, Gott im Himmel, was …«
    Bobbi streckte Gardener die Hand entgegen. Sie zitterte heftig in der Luft, und Gardener sah, wie dünn, wie unsagbar kläglich dünn Bobbis Arm geworden war.
    »Hier hat sich eine ganze Menge getan«, krächzte Bobbi mit ihrer zitternden Stimme. »Ich habe ’ne Menge Arbeit hinter mir, und es bleibt noch ’ne Menge zu tun, aber ich schaffe es schon, ich schaffe es schon, warte nur, bis du es siehst …«
    »Bobbi, was …«
    »Prächtig, mir geht es prächtig«, wiederholte Bobbi, dann sank sie halb bewusstlos in Gardeners Arme. Sie versuchte, noch etwas zu sagen, aber es kamen nur ein unartikulierter Gurgellaut und ein wenig Speichel heraus. Ihre Brüste waren kleine, geschrumpfte Polster, die gegen seinen Unterarm drückten.
    Gardener hob sie auf und war erschrocken darüber, wie leicht sie war. Ja, es waren dreißig Pfund, mindestens dreißig. Es war unglaublich, aber unglücklicherweise nicht bezweifelbar. Ihm kam eine Erkenntnis, die schockierend und kläglich zugleich war: Das ist nicht Bobbi, das bin ich. Ich am Ende einer Sauftour.
    Er trug Bobbi rasch die Stufen hinauf ins Haus.

Kapitel acht
Abwandlungen
    1
    Er legte Bobbi auf die Couch und ging rasch zum Telefon. Er nahm den Hörer ab und wollte die 0 wählen, um das Amt zu fragen, welche Nummer er wählen musste, um den nächsten Notarzt zu bekommen. Bobbi musste ins Derry Home Hospital, und zwar schnell. Ein Zusammenbruch, vermutete Gardener (wenngleich er in Wahrheit so müde und verwirrt war, dass er kaum wusste, was er denken sollte). Eine Art Zusammenbruch. Bobbi Anderson schien die letzte Person auf der Welt zu sein, die umkippte, aber offenbar hatte sie es getan.
    Auf der Couch sagte Bobbi etwas. Gardener

Weitere Kostenlose Bücher