Das Moor Des Vergessens
folgenden Papiere waren Haushaltsberichte von 1883. Sie machte trotzdem weiter und überflog jedes Stück Papier gewissenhaft auf Hinweise. Letty saß neben ihr und lieferte Kommentare von sensationeller Belanglosigkeit. Jane musste sich zusammennehmen, damit sie sie nicht bat, aus ihrer eigenen Küche zu verschwinden. Eine Stunde später musste Jane ihre Niederlage eingestehen. Sie wusste jetzt mehr über die häuslichen Einzelheiten der Seitenlinie der Clewlows, die von Dorcas' ältestem Sohn Arthur abstammte, als irgendein Mensch sich vernünftigerweise wünschen konnte. Aber es war weder etwas über Dorcas selbst dabei, noch wurde ein Manuskript erwähnt, das sich im Besitz der Familie befand. Jane drehte das letzte Blatt um und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, es ist nicht das, was ich zu finden gehofft hatte.«
»Oje, ich habe Ihre Zeit mit den dummen Nichtigkeiten der Familie verschwendet«, sagte Letty ehrlich betrübt. »Das macht doch nichts. Ich bin dankbar, dass Sie sich die Zeit genommen und die Mühe gemacht haben, das hier für uns herauszuholen. Ist das denn alles, was Sie haben? Nichts von Dorcas selbst? Vielleicht in den Schachteln in der Garage ...?«
Letty schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, das ist alles, was ich aus der alten Zeit habe. Granny Beattie hat öfter über ihre Granny gesprochen, dass sie bei William Wordsworth arbeitete und an seinem Totenbett gewesen war, aber ich glaube nicht, dass sie Briefe von ihr hatte oder so etwas.« »Schon gut.« Jane spürte das mittlerweile schon vertraute Gefühl der Enttäuschung. »So geht es eben.« Sie stand auf. »Vielen Dank für Ihre Zeit.«
»Keine Ursache. Es ist ein Vergnügen, junge Leute hier zu haben. Das fehlt mir, seit ich hier wohne. Als ich in meinem alten Haus in Braithwaite gewohnt habe, hatte ich so nette Nachbarn. Sie hatten zwei Jungs, Teenager, die sind immer vorbeigekommen. Sie hörten unheimlich gern Geschichten aus der alten Zeit. Aber jetzt sehe ich sie nie mehr«, sagte sie wehmütig. »Niemand kommt jemals hier herauf.« Jane fiel keine Antwort ein, die ihr passend erschien. »Es tut mir leid«, sagte sie.
»Werden Sie bloß nicht alt, Kleine«, sagte Letty traurig, als sie sie zur Tür brachte. »Wie war noch dieser Song, den Gavin immer in den Sechzigern gespielt hat? ›Hope I die before I get old‹, so ging's. Die sind inzwischen auch schon alte Männer, nehm ich an.«
»Nur zwei«, sagte Jane. »Die anderen beiden haben es hingekriegt. Aber ich glaube, sie waren beide nicht sehr glücklich darüber.«
»Nein, ich denke, wahrscheinlich nicht. Also, viel Glück. Ich hoffe, Sie finden, was Sie suchen.«
Jane winkte ihr zum Abschied zu, niedergedrückt von diesem Tag. Wenigstens konnte sie sich auf das Essen mit Jimmy und Dan freuen. Zwei Stunden, in denen sie Verrat und Scheitern vergessen konnte.
Jake trank seinen Kaffee aus und hatte noch daran zu knabbern, wie Jane ihn behandelt hatte. Herrgott nochmal, was war bloß mit den Frauen los? Er demütigte sich vor ihnen wie ein Hund, der dem Alphatier des Rudels den Bauch hinhält. Und sie hatte sich vorgenommen, ihn einfach sitzen zu lassen. Was für ein Weibsstück. Wenn er sich auf ihre Loyalität verlassen hätte, hätte er ganz schöne Probleme mit Caroline bekommen.
Allerdings würde es jetzt, nachdem Jane ihre Wut an ihm ausgelassen hatte, etwas schwieriger sein, als er gehofft hatte. Er spitzte die Lippen und sah so grimmig aus, dass die Bedienung sich von seinem Tisch abwandte. Blödes Weib. Er war so sicher gewesen, dass er Jane an der Angel hatte. Aber er hatte genug davon, sich mit den Resten zu begnügen, die vom Tisch der Frauen in seinem Leben abfielen. Bald würde er ihnen zeigen, wer in Wirklichkeit der große Macher war. Er würde seine eigenen Pläne weiterverfolgen und das verdammte Manuskript selbst finden. Und dann würde er Jane beweisen, wie dämlich es von ihr war, ihn zu verlassen. Er würde alles dafür tun, dass sie niemals auch nur in die Nähe von William Wordsworths Meisterwerk kam.
Jane überlegte, ob sie an der Schule anhalten und Matthew sagen sollte, er brauche seine Zeit nicht damit zu verschwenden, nach Keswick zurückzufahren und Lettys Papiere durchzuschauen. Und um ihm die Meinung zu sagen. Aber sie beschloss, es nicht zu tun. Es hatte am heutigen Tag schon genug Ärger gegeben, der reichte ihr für ein paar Wochen. Außerdem verdiente er es, diese sinnlose Fahrt zu machen, als Strafe für sein mieses Benehmen. Sie
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