Das Moor Des Vergessens
nichts mit ästhetischen Aspekten zu tun. Copperhead Cottage war ein hohes, schmales Gebäude, dessen Naturstein mit dunkelgrauem Rohbewurf verputzt war. Es hockte unheildrohend wie eine Kröte in der Landschaft, hinter den quadratischen blinden Fensterscheiben hingen Gardinen. Beim ersten Ausflug hier herauf waren sie und Matthew vor ihren Eltern hergerannt. Als sie um die Biegung kamen, hatte Matthew sie am Arm gepackt. »Da wohnt die Hexe«, hatte er geflüstert. »Die isst kleine Mädchen. Wenn du wegläufst, schnappt sie dich, als Schaf verkleidet, und frisst dich auf.«
Soweit Jane sich erinnern konnte, war sie erst fünf Jahre alt gewesen, und Matthews Worte klangen nur allzu überzeugend. Ihre Freude war also immer ein wenig getrübt gewesen, wenn sie bei ihren Familienausflügen nach Coniston gekommen waren. Deshalb fühlte Jane trotz des herrlichen Wetters und ihrer inzwischen erwachsenen Betrachtungsweise immer noch ein leichtes Unbehagen, als sie vor Dan den Weg zu Copperhead Cottage entlangging. Und als sich die Tür schließlich auf ihr Klopfen hin öffnete, verspürte Jane das Zittern uralter Angst.
Die Frau auf der Schwelle hatte eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem Hexenbild aus Kindertagen. Ihr graues Haar war zu einem unordentlichen Knoten gebunden, ihre Augen waren dunkel und saßen tief in ihren Höhlen neben der Hakennase, die sich zu ihrem vorstehenden Kinn hin krümmte. Eine Schulter war höher als die andere, und sie stützte sich auf einen knorrigen Stock. Als solle das Bild noch ergänzt werden, rieb sich eine graue Katze an ihren Beinen. »Das ist privat hier«, verkündete sie. »Keine Übernachtungen, kein Frühstück, kein Tee mit Sahne. Und ich lass niemand aufs Klo gehen.«
»Mrs. Wright?«, fragte Jane entmutigt. Die Frau schaute sie durch ihre kleinen runden Brillengläser an. »Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Jane Gresham. Ich bin eine Freundin von Jimmy Clewlow - David und Ediths Enkel«, sagte Jane, sich instinktiv an die Verwandtschaft haltend. Jemand, der Fremden gegenüber so abweisend war, würde sich bestimmt nicht von ihren Referenzen beeindrucken lassen »Und das ist mein Freund Dan Seabourne.«
»Auch ein Freund von Jimmy, Ma'am«, sagte Dan, ein Lächeln auf den Lippen, mit dem er sich einzuschmeicheln versuchte.
»Ihr kommt einen Tag zu früh, wenn ihr mich zur Beerdigung mitnehmen wollt«, sagte sie ungnädig. »Deshalb sind wir nicht gekommen. Jimmy dachte, Sie könnten uns vielleicht bei einem Forschungsprojekt helfen. Jane und ich, wir arbeiten zusammen an einer Universität in London«, mischte sich Dan ein und bot all seinen Charme auf.
Jenny Wright runzelte die Stirn. »Was für ein Forschungsprojekt bringt Sie hier herauf?«
»Ich komme von hier oben. Ich bin in Fellhead aufgewachsen«, sagte Jane und brachte ihre Referenzen an. »Schön blöd, von da wegzugehen. Was ist das also für ein Projekt, von dem Jimmy Clewlow glaubt, dass ich dabei helfen könnte?«
»Vielleicht könnten wir reinkommen und es erklären, damit Sie nicht in der Kälte auf der Türschwelle stehen müssen«, schlug Dan vor.
Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Wenn ihr ein oder zwei Namen erwähnt, heißt das nicht, dass ihr in meine Wohnung reinkommt. Wie soll ich wissen, dass ihr diejenigen seid, die ihr zu sein behauptet? Woher soll ich wissen, ob ihr nicht darauf aus seid, eine alte Frau auszurauben?« Dan verbarg seine Frustration gut. »Sie könnten ja Jimmy anrufen und ihn fragen.«
Jenny schnaubte verächtlich.
»Ich hab seine Nummer nicht.«
»Ich hab sie.«
»Und wie weiß ich, dass er es wirklich ist? Nein, Sie können Ihr Anliegen ganz gut hier draußen vorbringen.« »Wie es Ihnen lieber ist«, sagte Jane höflich. »Ich bin spezialisiert auf die Werke von William Wordsworth. Ich hörte, dass jemand aus Ihrer Familie, Dorcas Mason, damals für die Familie Wordsworth im Dove Cottage gearbeitet hat. Und ich glaube, sie hat sich vielleicht gewisse Papiere angeeignet.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sie sie gestohlen hat?« Die Frau klang noch feindseliger.
»Nein. Wir meinen, dass sie ihr zur Aufbewahrung übergeben wurden.«
»Nun, wenn es so war, dann hat sie sie bestimmt sicher aufgehoben. Wir in unserer Familie wissen etwas über Pflichtbewusstsein.« Sie spitzte die Lippen und nickte selbstzufrieden.
»Das hatten wir gehofft. Wir wollen herausfinden, ob es die Papiere noch gibt, und wenn möglich, möchten wir sie ansehen.«
»Was interessiert Sie
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