Das Moor Des Vergessens
August 1851. Ein Jahr und vier Monate nach Williams Tod. ›Wir werden unsere treue und fleißige Dorcas verlieren, die sich noch vor Ende des Monats verheiraten wird. Sie wird eine gute Ehefrau werden und verdient ihr Glück, nachdem sie dieses traurige Haus mit solcher Geduld ertragen hat.‹ Bitte, Jane. Jetzt weißt du alles, was ich über Dorcas Mason weiß.«
»Leider gibt uns das keinen Hinweis darauf, was sie mit dem Manuskript gemacht haben könnte, nachdem John es ihr gegeben hatte«, seufzte Jane. »Es ist so frustrierend.« »Ich denke, es hängt davon ab, wie wörtlich sie Johns Anweisung nahm. Sie gab es Mary vielleicht wieder zurück, aber damit hätte sie gegen Johns Wünsche verstoßen. Sie könnte ihn so verstanden haben, dass sie es vernichten sollte. Aber sie hatte drei Jahre zu diesem Haushalt gehört, lange genug, um von dem Gedanken an Williams geradezu gottgleichem Ansehen in der literarischen Welt durchdrungen zu sein. Es ist möglich, dass sie es nicht über sich brachte, etwas anderes zu tun, als seine Worte zu verwahren. Sie hat es vielleicht behalten, Jane. Sie behielt es, zeigte es aber nie jemandem, aus Respekt vor Johns Wunsch.« Jane beugte sich auf ihrem Stuhl vor. »Wenn Dorcas es behalten hat, dann wäre es doch bis heute bestimmt schon aufgetaucht?«
»Man sollte meinen, ja. Aber es ist möglich, dass es mit anderen Papieren, die nie richtig untersucht worden sind, an ihre Nachfahren weitergegeben wurde. Oder dass dem Erben, wer immer das war, eingeprägt wurde, es gehöre nicht der Familie und müsse zu treuen Händen aufbewahrt werden.« Anthony zuckte die Schultern. »Uns sind schon Papiere übergeben worden, die drei oder vier Generationen in Dokumentenkassetten gelegen hatten.« »Ich würde wirklich gern glauben, dass es noch existiert«, sagte Jane wehmütig. »Aber wahrscheinlich ist das nicht, oder?«
»Möglich ist es, und das genügt. Jane, du musst anfangen, Dorcas Masons Nachkommen aufzuspüren. Du kannst es dir nicht leisten, die Chance nicht zu ergreifen, wie klein sie auch scheinen mag.« Anthony stieß seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück, und die Rollen rumpelten über den Holzboden.
Jane nickte, denn sie wusste, dass er Recht hatte. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo ich anfangen könnte. Mit Ahnenforschung kenne ich mich nicht aus.« »Das County-Archiv in Carlisle hat alle alten Kirchenbücher mit den Einträgen zu Geburten, Hochzeiten und Todesfällen. Dann gibt es ja auch noch die Volkszählung. Und das St. Catherine's House in London. Du bist doch geübt im Recherchieren, Jane, du hast die nötigen Fähigkeiten.« »Ich habe einen Arbeitskollegen in London. Er könnte dort loslegen, während ich hier anfange«, sagte Jane, und ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf.
»Na, siehst du.« Anthony stand auf »Also, dann geh jetzt. Ich muss veranlassen, dass die Echtheit dieser Dokumente bescheinigt wird.«
Als sie aus Anthonys Büro kam, war der blaue Himmel hinter einer niedrigen Wolkenbank verschwunden. Große Regentropfen klatschten auf den Boden und hinterließen Spuren wie hingestreute Münzen. Sie rannte ins Cafe, zog ihr Mobiltelefon heraus und rief ihre Mutter an. Die Märtyrerin zu spielen war nie Janes Stärke gewesen. Auf keinen Fall würde sie bei diesem Wetter mit dem Rad nach Hause fahren.
Wenn Teenager verzweifelt sind, gibt es keinen Mittelweg. Entweder verschwindet die Verzweiflung so schnell wie ein Kreidestrich im Platzregen, oder sie nimmt das Gewicht eines Granitblocks an. Bei Tenille war es erstere Variante. Schon Minuten nachdem sie begriffen hatte, dass ihre Chancen zur Flucht aus Janes Wohnung sehr gering waren, und sie in abgrundtiefe Verzweiflung gestürzt war, entwickelte sie bereits einen Aktionsplan für den Fall, dass sich ihr auch nur die geringste Gelegenheit bieten sollte.
Das Wichtigste war, sich relativ weit von Marshpool zu entfernen. Die erste Aufregung sollte sich zunächst mal legen, während sie überlegte, wie sie sich davonmachen konnte. Der einzige Ort, an dem sie glaubte, Unterschlupf finden zu können, war bei Jane in Fellhead. Das Dringendste war also, auszutüfteln, wie sie dorthin gelangen konnte. Sie hatte etwas Geld, war aber nicht so dumm, in Betracht zu ziehen, dass sie den Zug oder den Schnellbus nehmen könnte. Wenn die Bullen sie aufs Korn nehmen wollten, hätten sie ihre Beschreibung und vielleicht sogar ein Foto von ihr schon überallhin durchgegeben. Jeder Polizist würde nach ihr Ausschau
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