Das Moor Des Vergessens
Griechenland passiert ist, sie hat sich die Hüfte gebrochen. Im Ausland, da riskiert man ja wirklich sein Leben, wissen Sie. Sie sind jung, da denken Sie wahrscheinlich, es ist egal, aber das stimmt nicht. Vor allem bei all dem Terrorismus.«
»Es hat nichts mit einer Ferienwohnung zu tun, Mrs. Clewlow. Ich will mit Ihnen über einen Ihrer Vorfahren sprechen.«
Sie zog den Kopf zurück, und die Augenbrauen schossen in die Höhe. »Über meine Vorfahren? Sie sind der Zweite, der mich in letzter Zeit nach meinen Vorfahren fragt. Na ja, eigentlich der Dritte, wenn man unseren Sam mitzählt.« Jake zuckte innerlich zusammen bei diesen Worten. Wie konnte es sein, dass sie ihm zuvorgekommen war? Er war sicher gewesen, dass er Jane um einiges voraus war. »Jemand anders?«, sagte er. Er musste sich anstrengen, dass seine Stimme ruhig klang.
»Ja. Unser Sam, mein Urenkel, er hat in der Schule ein Projekt über Familiengeschichte gemacht. Er ist ein nettes Kerlchen, der Sam, macht seiner Mum und seinem Dad Ehre. Hat auch immer Zeit für seine alte Uroma, nicht nur, wenn er mich wegen seinem Stammbaum ausfragen will. Jedenfalls - er hat es scheinbar richtig gut gemacht. Der Rektor hat's heute Morgen gesagt. Hat mich extra angerufen und mit mir darüber gesprochen. Er hat gesagt, ich war eine große Hilfe für Sam gewesen und er wolle mir persönlich danken.«
Jake schossen verschiedene Gedanken durch den Kopf. »Sie meinen Matthew Gresham?« »Ja, stimmt. Kennen Sie Mr. Gresham?« Jake nickte. »Ja. Seine Schwester Jane kenne ich besser, aber ich habe Matthew ein paarmal getroffen.« Was war hier los, verdammt nochmal? Hatte Jane es geschafft, Matthews Feindschaft ihr gegenüber so weit zu überwinden, dass sie ihn dafür gewinnen konnte, ihr zu helfen? Ediths Misstrauen war angesichts von Jakes Vertrauenswürdigkeit völlig gewichen. »Dann kommen Sie doch mal rein. Ich kann nicht so lange stehen, ich habe chronische Rückenschmerzen, wissen Sie. Und alles, was sie mir geben, hilft überhaupt nicht«, fuhr sie fort und führte ihn in ein bestürzend vollgestopftes, aber unnatürlich sauberes Wohnzimmer. Nichts schien in seinem ursprünglichen Zustand belassen. Ein durchsichtiger Plastikläufer bedeckte den Teppich von
der Tür bis zu den Sesseln. Auf den Sesseln selbst waren über den losen Bezügen Sesselschoner, Lehnenschutz und Überwürfe, um eben diese losen Bezüge zu schonen. Die Fotorahmen waren mit Schleifen geschmückt, wie Floristen sie in ihren Blumensträußen verarbeiten. Selbst das Buch, das Edith las, steckte in einer Polyesterhülle. Im Zimmer hing ein chemischer Geruch nach Möbelpolitur und Luftverbesserer in der Luft.
Jake war erstaunt, dass er seine Schuhe nicht an der Tür ausziehen und einen dieser weißen Schutzanzüge der Spurensicherung tragen musste.
»Ärzte«, fuhr Edith fort, während sie sich auf dem Sessel neben dem Kamin niederließ. Sie rollte sich wie ein Igel zusammen. »Was wissen die schon? Sie geben einem irgendeine Sorte Tabletten, und im Handumdrehen kann man seine Arme nicht mehr bewegen, weil sie sich mit einer von den anderen Pillen nicht vertragen, die man schon einnimmt. Gegen Bluthochdruck, Cholesterin, Herztabletten. Wenn man mich schüttelt, müsste es scheppern. Ich weiß nicht, was ich ohne meine Familie hier machen würde. Setzen Sie sich doch, junger Mann, stehen Sie da nicht rum wie bestellt und nicht abgeholt.«
Jake setzte sich vorsichtig auf die Kante eines Sessels. »Danke. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich Zeit nehmen, mit mir zu sprechen.«
Edith lachte. »In meinem Alter muss man zusehen, wie man die Zeit rumbringt. Als ich jung war, hatte der Tag nie genug Stunden. Jetzt kann es einem ewig lang vorkommen vom Frühstück bis man zu Bett geht. Ich hab genug Zeit übrig für ein Schwätzchen, mein Junge. Also, was war es denn, was an meinen Vorfahren so interessant sein könnte, dass Sie bis hier rauf nach Langmere Stile kommen? Sie sind doch nicht aus der Gegend hier, oder?«
Jake schüttelte den Kopf. »Ich wohne in London. Ich bin Spezialist für alte Manuskripte. Früher hatte ich eine Stelle an der British Library, aber jetzt arbeite ich privat als Makler zwischen Käufern und Verkäufern.«
Edith war verwirrt. »Das versteh ich nicht. Was hat das mit mir und meiner Familie zu tun?«
»Es ist eigentlich die Familie Ihres verstorbenen Mannes, die mich interessiert. Das heißt, ein Mitglied dieser Familie, genauer gesagt. Seine Ururgroßmutter
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