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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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kleinen sizilianischen Dorf dort auf der Leinwand vermochten ihn nicht zu fesseln. Aber seine Gedanken leisteten Julian während der trübsinnigen Prozession cineastischer Ereignisse gute Gesellschaft. Er dachte über David und Sylvia und Lila nach – und vor allem über sich selbst. Das war schon einsame Klasse, was er da getan hatte, selbst wenn er es selbst sag­te. Er hätte es gern irgend jemand erzählt, jemand, der mit ihm mitfühlte. Da fiel ihm Charlies Bar gegenüber ein, und er verließ das Kino noch vor Ende des Films.
    Für die Bar war es noch zu früh, also gab er sich damit zufrieden, einige Worte mit Karl zu wechseln, dem freundlichen Barkeeper, einem Gentleman der alten Schu­le, der ehrlich davon überzeugt war, daß ein Barkeeper ein guter Zuhörer sein sollte. Als an dem Abend keiner von Julians Bekannten vorbeischaute, beschloß dieser, mit Karl vorliebzunehmen, und er erzählte ihm die ganze Geschichte von dem weisen und einfühlsamen Geburtstags­geschenk. Karl schien die Erzählung zu interessieren, ja beinahe zu faszinieren, aber er ließ nicht erkennen, daß er Julians Freude an dessen Idee teilte. Ja, an einer Stelle sah er sogar etwas schockiert aus, und seine großen Augen und geschürzten Lippen erinnerten Julian in bedrückender Weise an Sylvia. Kurz darauf verließ er Charlies Bar.
    Es war erst zwölf, deshalb ging er zu einer Hamburger­Bude auf der anderen Straßenseite hinüber. Der Hambur­ger schmeckte fade, und der Kaffee war so heiß, daß man ihn nicht trinken konnte. Er ließ beides stehen und be­schloß, bis eins um den Block zu schlendern.
    Er legte, wie ihm schien, eine endlose Strecke zurück, brauchte aber nach seiner Armbanduhr nur zehn Minuten dafür. Außerdem wurde es immer kälter, und er bedauerte, seinen Mantel nicht angezogen zu haben. An einem Zei­tungsstand kaufte er die Morgenausgabe des ›Mirror‹ und ging zu Lilas Haus. Dort setzte er sich in der Halle auf eins der ungefederten Sofas, las die Zeitung und wünschte, die Zeit würde vergehen.
    Das tat sie denn schließlich auch. Eine Minute vor eins betrat er den Lift. Nachdem er auf den Klingelknopf an Lilas Tür gedrückt hatte, dauerte es eine ganze Weile, be­vor jemand öffnete.
    »Julian, Liebster«, sagte Lila. Sie sah wie eine schläfrige Katze aus. Sie trug ein offenes schwarzes Seidennegligee, das mit winzigen Sternen übersät war, und machte sich offensichtlich nicht allzu große Gedanken darüber, wieviel es enthüllte.
    »Brrr«, sagte er. »Wird ganz schön kalt da draußen. Hät­te meinen Mantel anziehen sollen. Mach um Himmels wil­len das Ding da zu.«
    Sie raffte das Negligee um sich, und in dem Augenblick kam auch David, völlig angezogen und mit einem Whis­key in der Hand, aus dem Schlafzimmer.
    »Hallo, Dad«, sagte er ruhig. »Wie war der Film?«
    »Was?«
    »Der italienische Film.«
    »Oh, großartig. Genauso, wie ihn die Kritiker beschrie­ben haben. Sag mal, hast du den Drink da übrig? Ich könn­te ihn gebrauchen.«
    »Aber natürlich, Dad.« David reichte ihm den Whiskey hinüber.
    Julian trank ihn zur Hälfte und setzte dann das Glas hart ab.
    »Also, Leute, was meint ihr? Eins durch und Vati muß morgen früh um halb neun im Flugzeug sitzen.«
    »Noch einen Drink«, schmeichelte Lila und kuschelte sich mit einem genüßlichen Gähnen auf die Couch.
    »Nein, danke. Bist du soweit, Dave?«
    »Ja, Dad, von mir aus …«
    »Dann los. Ich ruf dich morgen aus Chicago an, Lila.« »Das wäre wunderbar, Lieber.« Er ging zu ihr hinüber und küßte sie flüchtig auf die Wange. Sie sagte: »Wenn es so kalt ist, warum nimmst du dann keinen Mantel? Du hast doch einen im Schrank.«
    »Du hast wahrscheinlich recht.«
    »Ich hole ihn«, bot David an.
    Als er ins Schlafzimmer ging, beugte sich Julian über sie und fragte: »Na, ist alles gut gegangen?«
    »Vorzüglich, Liebling. Du hast einen charmanten Sohn.«
    »Du kennst ja das Sprichwort. Von dem Apfel und dem Stamm.«
    »Ich habe während der ganzen Zeit an dich gedacht …«
    David kam mit dem Mantel überm Arm zurück. Er hielt ihn seinem Vater, der mit einem leichten Frösteln hinein­schlüpfte. Dann gab er Lila noch einen flüchtigen Kuß auf die Wange, und sie gingen.
    Sie waren schon halb unten, als Julian wieder der ver­borgene Schrank einfiel. Er faßte in die Tasche und be­rührte den einzigen existierenden Schlüssel – dann hörte er auf, sich den Mantel zuzuknöpfen, und betrachtete das unschuldige Profil seines

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