Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
Sohnes. Als sie den Fahrstuhl verließen, hatte sein Gesicht einen finsteren Ausdruck angenommen, und er sagte: »Ich glaube, ich werde morgen nicht nach Chicago fliegen. Soll doch Murphy endlich mal auf Reisen gehen, dieses Stinktier. Ich werde allmählich zu alt für solche Sachen.«
Dons Baby
O hne einem bestimmten Plan zu folgen und auch nicht aus dem Wunsch heraus, irgendwelchen Statuten eines formellen Junggesellenstandes zu entsprechen, gehorchte Bill Rossi, was junge Frauen anbetraf, doch gewissen Verhaltensmaßregeln. Im Falle von Joyce Duram ergaben sich die existierenden Schranken einfach aus einem Gebot des Anstandes: sie war sechzehn, als sie sich kennenlernten, und er war Ende zwanzig. Also ließ er seine schlanken italienischen Finger von ihr, und falls Joyce an mehr als eine Beziehung zwischen großem Bruder und kleiner Schwester gedacht hatte, so sorgte er mit der liebenswürdigen Einfachheit seiner Worte, einem schnellen Lächeln oder einem sanften Streicheln über ihren jungen Kopf dafür, daß niemand aus der Rolle fiel. Ihre Besuche in seiner Zweizimmerwohnung am Washington Square, die nach und nach immer seltener stattfanden, galten seinem Trost und seinem Rat, wenn sich Joyce mit den Problemen des Erwachsenwerdens herumschlagen mußte. Als es an jenem Aprilabend noch spät klingelte, und er ihr kleines, süßes Gesicht unter dem kessen Barett erkannte, wurde ihm deutlich, daß sie seinen Rat schon seit einem Jahr nicht mehr gesucht hatte.
Er bat sie herein, gab ihr den besten gepolsterten Stuhl und schlug Kaffee oder Tee vor – und dann, sich daran erinnernd, daß Joyce inzwischen volljährig war, bot er ihr sogar einen Drink an. Als sie mit weißem Gesicht bei seinem letzten Vorschlag nickte, da wußte er, daß sie Kummer hatte.
»Was ist los, Rotkopf?« fragte er sanft. »Fühlst du dich okay?«
»Ich bin nicht krank oder so was«, sagte sie, »nichts in der Art.« Sie nahm ihre Mütze ab und ließ ihr rötlichgoldenes Haar in lockeren Wellen auf ihre Schultern herabfallen. Sie war in der Zwischenzeit sehr viel weiblicher geworden, und die Tränen, die ihr in den enzianblauen Augen standen, waren nicht die leicht fließenden Tränen eines Kindes.
»Es ist eine Weile her«, sagte Bill, »mindestens ein Jahr. Wie war das Jahr für dich, Rotkopf?«
Als Antwort schlug das Mädchen die Hände vors Gesicht. Er wartete, bis die salzige Flut verebbte, wohl wissend, daß der Ausbruch das Vorspiel zu einer Geschichte war. Er hatte recht.
»Es begann vor ungefähr fünf Monaten«, sagte sie. »Ich versuchte zu der Zeit, als freie Mitarbeiterin bei grafischen Ateliers anzukommen, ehe ich den Job bei der Agentur bekam. Wahrscheinlich weißt du das gar nicht. Ich arbeite jetzt für eine Werbeagentur. Also, ich kam jedenfalls eines Abends nach Hause und hatte die Mappe mit meinen Arbeitsproben bei mir. Du weißt doch, wo ich wohne? In dem Sandsteinhaus in der First Avenue? Als ich gerade die Stufen zum Haus hinaufging, traf ich diesen Mann.«
»Mann?«
»Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen. Er war jung, vielleicht fünfundzwanzig. Gut aussehend, schwarzes Haar, gelockt. Er sah irgendwie nett aus – weißt du, was ich meine?
Jedenfalls bot er mir an, die Mappe zu tragen. Sie war nicht besonders schwer, und ich hatte es nur eine Treppe hoch, aber ich nahm seine Hilfe an. Er war sehr höflich. Sagte, sein Vorname sei Don, und er sei sehr an Kunst interessiert. Ich meine, er muß schon gewußt haben, daß ich Künstlerin bin, aufgrund meiner Künstlermappe. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie es passierte, jedenfalls bat ich ihn hereinzukommen, und er sah sich meine Arbeiten an und sagte, sie seien sehr gut. Ich glaube, er meinte das nicht wirklich, er wollte nur nett sein. Aber es tat mir gut, verstehst du? Nachdem ich so lange arbeitslos war. Da tut es einem wohl, wenn jemand denkt, man habe Talent.«
»Klar«, sagte Bill.
»An den Rest des Abends kann ich mich nicht so genau erinnern. Wir redeten einfach, oder vielleicht redete auch nur ich, und wir tranken Kaffee und so, und das war’s. Nur daß er mich noch fragte, ob er Samstagabend wiederkommen könnte.«
»Und du sagtest ja.«
»Ich sagte ›Natürlich, warum nicht?‹ Er war nett. Und er sah gut aus. Ich dachte mir nichts Böses dabei.«
»Nein«, sagte Bill.
»Und so kam er an jenem Samstag, drei Tage später. Er war um neun Uhr da. Wir ... wir gingen nirgends hin. Wir blieben einfach zu
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