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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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hingeschickt haben. Ich hatte damit nichts zu tun.«
    Der Mann griff in die Tasche.
    »Haben Sie dies hier schon jemals gesehen, Mrs. Angstrom?«
    Sie nahm ihm den runden Gegenstand aus der Hand.
    »Nein. Wofür ist das?«
    »Ich hatte nicht damit gerechnet, es auf diese Weise ein­setzen zu müssen, Mrs. Angstrom, aber unter den gegebe­nen Umständen ist es vielleicht das Sinnvollste. Bitte schauen Sie es weiter an. Ich möchte, daß Sie sich an un­ser erstes Zusammentreffen vor etwa vierundzwanzig Jah­ren erinnern. Dann können wir uns vielleicht vernünftiger über Jonathon unterhalten.«
    Sie starrte in die Tiefen der durchsichtigen Kugel und beobachtete die Lichter, die sich darin bewegten.
    »Mrs. Angstrom?« sagte der Doktor.
    Sie antwortete nicht.
    »Würden Sie sich jetzt bitte an unser erstes Zusammen­treffen erinnern, Mrs. Angstrom. Erinnern Sie sich bitte, wer ich bin, wo ich herkomme und was mein Anliegen ist.«
    Sie blickte auf. »Sie sind’s wieder!« sagte sie und nahm ihr Glas auf, um den Rest des Drinks hinunterzukippen. Dann signalisierte sie dem Ober, er möge ihr einen neuen bringen. Sie erschien nervös und höchst aufgebracht.
    »Ich versuche nur zu helfen«, sagte Pepys ruhig. »Ihr Sohn befindet sich in diesem Augenblick in einer kriti­schen Phase, Mrs. Angstrom, und ich brauche Ihre Unter­stützung. Sie wissen doch sicherlich, warum die Army Ihren Sohn in das Hospital eingewiesen hat. Sie wissen das, wollen es aber vor niemandem eingestehen. Er hat versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, war’s nicht so? Selbst heute noch, wo er sechsunddreißig Jahre alt ist, kann ich die Narben in seinem Fleisch erkennen.«
    »Ich möchte nicht darüber sprechen!« stöhnte die Frau.
    »Wir müssen aber darüber sprechen, Mrs. Angstrom. Sie haben die Pflicht …«
    »Hören Sie auf, mich zu behelligen! Hören Sie auf, mich zu quälen!«
    Ihr Drink kam; sie hatte keine Hemmungen, ihn hinun­terzukippen, bevor noch der Ober gegangen war.
    »Warum können Sie mich nicht in Ruhe lassen?« fragte Ellen, schluchzendes Selbstmitleid in der Stimme. »War­um müssen Sie mich für alles verantwortlich machen, was Jonathon zugestoßen ist. Trägt er denn überhaupt keine Verantwortung dafür? Muß ich immer der Bösewicht sein?«
    »Bösewicht ist nicht das richtige Wort, Mrs. Angstrom. Und doch …« Er seufzte. »Es ist keine Frage, daß ein gro­ßer Teil der Schwierigkeiten Ihres Sohnes auf Sie zurück­geführt werden kann. Auf Ihren Mangel an Verständnis, auf Ihren Mangel an Liebe, auf die Art und Weise, in der Sie den Haß auf Ihren Mann auf ihn übertrugen ...«
    »Schon gut!« Die Tränen rollten ihre gepuderten Wan­gen hinab. »Schon gut, es war so. Aber ich konnte doch nichts dafür, oder? Ich hatte einen Mann, der mich nicht liebte, ein Kind, das mich für eine Verbrecherin hielt, weil ich ihn aus dem Haus schmiß! Können Sie mir deswegen Vorwürfe machen?«
    »Sind Sie sicher, daß Ihr Mann Sie nicht geliebt hat, Mrs. Angstrom? Oder war es nicht eher so, daß Sie sich dagegen sträubten, seine Liebe zu akzeptieren?«
    »Es unterschied sich alles überhaupt nicht von der Art, in der ich aufwuchs.« Sie weinte nun ganz offen, wobei der Alkohol den Tränenfluß beförderte. »Meine Mutter war genauso. Auch sie hatte einen Nichtsnutz zum Mann. Und sie mußte ihn auch rausschmeißen …«
    »Ich bin sicher, daß es Gründe für Ihre eigenen Schwie­rigkeiten gibt, Mrs. Angstrom.«
    »Warum machen Sie die dann nicht verantwortlich? Meinen Vater und meine Mutter? Warum hacken Sie auf mir rum? Sie waren genauso schuld wie ich, wenn Sie schon von Schuld reden wollen. Warum machen Sie denen keine Vorwürfe?«
    Einen Augenblick lang sah der Psychoanalytiker beun­ruhigt aus.
    »Ja«, sagte er nachdenklich. »Ja, da haben Sie natürlich nicht ganz unrecht.«
    »Ich habe meinen Vater geliebt!« schluchzte Ellen. »Ich hab ihn wirklich geliebt. Aber er war so unfair zu meiner Mutter. Er machte, daß sie ihn rausschmiß, Doktor, sie konnte gar nichts anderes tun …«
    »Die Kette der Neurosen«, flüsterte Pepys. »Wo fängt sie an? Wo hört sie auf?« Er sprach mit sich selbst.
    »Warum steigen Sie nicht in Ihre blöde Maschine und finden raus, was meine Mutter so unglücklich gemacht hat? Vielleicht verstehen Sie dann alles ein bißchen bes­ser.« Sie legte ihren Kopf auf den Tisch. »Sie werden se­hen«, sagte Ellen Angstrom. »Sie werden sehen, wie das alles gekommen ist …«
    »Ja«, sagte

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