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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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hat schon drei Autos zu Klump gefahren, und er kommt bei jeder Bruchlandung heil davon.«
    »Es ist wirklich nicht das, Mrs. Angstrom. Obwohl es ir­gendwie, nehme ich an, doch damit …«
    »Ein andermal, Doktor.« Sie steckte den Schlüssel in das Schloß ihrer Wohnungstür.
    »Diese häufigen Unfälle von ihm, Mrs. Angstrom. Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, daß es sich gar nicht um bloße Unfälle handeln könnte?«
    »Nicht jetzt, Doktor, bitte.«
    »Sicher können Sie das Zwanghafte an diesen …«
    Drinnen klingelte das Telefon, und Ellens Herz schlug schneller in dem Wissen, daß Egg am anderen Ende der Leitung war.
    »Ein andermal!« rief sie, stieß die Tür auf und schloß sie dann wieder, bevor der Fremde sie noch daran hindern konnte. Er stand draußen vor ihrer Wohnung, und sein Gesicht lief vor lauter Frustration hochrot an. Dann drehte er sich um und ging zum Lift, wobei er eine kleine, leuch­tende Kugel in seiner Handfläche hin und her rollen ließ.
    Ellen Angstrom blickte in den dreiteiligen Ankleidespiegel auf der fünften Etage des Modehauses ›Venus‹, und ihr war mehr nach weinen als nach kaufen zumute. Im Fenster hatte das grüne, schmal geschnittene Kleid so ausgesehen, als sei es für ihren Teint und für ihr Aussehen wie ge­macht, aber nun stand zweifelsfrei fest, daß es nicht für ihre Figur gemacht war. Sie betrachtete ihr Spiegelbild und legte stille, feierliche Gelübde ab, eine Diät zu ma­chen.
    »Es ist entzückend«, zwitscherte der dunkeläugige Frechdachs hinter ihr. »Es sieht einfach süß an Ihnen aus, Mrs. Angstrom. Ich glaube nicht, daß wir irgend etwas dran ändern müssen, oder was meinen Sie?«
    »Nein«, sagte Ellen heiser. »Nein, ich denke, es ist gut so, wie es ist.«
    »Dann lasse ich es Ihnen sofort zuschicken«, sagte die Verkäuferin mit einem Lächeln, das ein klein wenig zu süß war.
    Zehn Minuten später eilte Ellen aus dem Modehaus und in die kühle Herbstluft der Fifth Avenue – froh, dem an­klagenden Spiegel entronnen zu sein, noch glücklicher aber bei dem Gedanken, daß es fünf durch war und sie ohne Bedenken in eine der behaglichen, ein paar Häuser­blocks entfernten Bars gehen konnte. Als sie die erste endlich erreicht hatte, konnte deren etwas schäbige At­mosphäre sie nicht mehr aufhalten, sondern sie schob sich auf den nächsten Hocker und ordnete ihren Pelz um ihre Schultern. Sie bestellte einen Whiskey Sour und be­mühte sich, ihn nicht zu schnell auszutrinken. Dann be­stellte sie noch einen und nahm ihn in eine der Sitzecken mit.
    Erst nach dem vierten Whiskey Sour nahm sie den at­traktiven Herrn wahr, der sie vom anderen Ende der Bar aus beobachtete. Sie versuchte zu lächeln, aber was dabei herauskam, war eher ein affektiertes Grinsen. Er kam aber dennoch zu ihr herüber, und sie hörte auf, sich über ihr Spiegelbild zu grämen, sondern kam zu dem Schluß, daß sie noch immer eine hübsche Frau war.
    »Darf ich mich setzen?« sagte der Mann. Er war süß. Er hatte einen kleinen weißen Schnurrbart und eine vornehme Kinnpartie. Er war ganz ihr Typ, dachte Ellen wie ein Backfisch.
    »Aber bitte«, sagte sie geziert. »Ich hätte nichts gegen ein bißchen Gesellschaft. Das war ein ermüdender Tag.«
    »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Pepys, Dr. Pepys. Im übrigen meine ich, wir seien uns schon mal begegnet, vor einigen Jahren. Sie sind nicht Mrs. Ellen Angstrom?«
    »Wieso, ja, das stimmt.« Sie betrachtete sein Gesicht, aber ihre Augen sahen nicht mehr ganz scharf. »Natürlich, ich erinnere mich an Sie, Doktor. Haben wir uns nicht mal bei …« Sie ließ das Ende des Satzes in der Schwebe.
    »Es war nur eine kurze Bekanntschaft«, sagte der Doktor hilfreich. »Damals interessierte ich mich ziemlich für Ih­ren Sohn Jonathon. Wie geht’s ihm übrigens?«
    Sie erstarrte. »Sie kommen doch nicht von dorther, oder?«
    »Wie bitte?«
    »Von dort, wo Jonathon ist. Sie haben nichts mit denen zu tun, oder doch?«
    »Nein, ich behandle nur privat. Sie wollen sagen, Jo- nathon ist momentan in einem Heim untergebracht?«
    Sie erzitterte. »Sagen Sie das doch nicht in diesem Ton. Er ist ja nicht verrückt oder so was. In meiner Familie gibt es niemanden, bei dem irgendwas damit nicht stimmt. Es ist eine Art Militärkrankenhaus; die Army hat ihn da hin­geschickt. Sie meinten, es wäre das beste.«
    »Verwundet?«
    Sie schnaubte verächtlich. »Der hat doch nie die Ostkü­ste verlassen. Fragen Sie mich nicht, warum sie ihn da

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