Das Mordkreuz
Schorsch?», fragte Kilian Sabine.
«Der ist beim Chef.»
«In der Mangel-Sache?»
«Scheint was Größeres zu sein. Präsidententreff. Landgericht, Regierung von Unterfranken und der Unsrige besprechen, wie es weitergeht.»
Kilian nickte. Wie erwartet hatte die Nachricht vom Tod des zweiten Juristen die Hühner aufgeschreckt. Noch lag Mangels Obduktionsergebnis nicht vor, aber Pia hatte bereits signalisiert, dass einiges auf Mord hinwies. Dadurch geriet der Fall Zinnhobel in ein völlig anderes Licht. Von nun an war nicht mehr allein von einer individuellen Tat an einem Richter auszugehen. Hier machte jemand möglicherweise Jagd auf die Rechtsprechung. Zumindest war das eine Arbeitshypothese. Er war gespannt, wie es die Präsidenten sahen.
Das Telefon klingelte, Kilian nahm ab.
«Hier Pia», hörte er, «ich bin mit Mangel gerade fertig geworden. Eins vorab: Es war Mord. Der Bericht ist in der nächsten halben Stunde bei euch.»
«So schnell?»
«Was glaubst du denn, wenn uns die Regierung und das Landgericht im Nacken sitzen.»
«Bleibt es bei der Todesursache?»
«Ja, Tod durch Erhängen. Allerdings hat da jemand nachgeholfen. Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen, der ihm wahrscheinlich kurzzeitig das Bewusstsein genommen hat. Außerdem hat die Spurensicherung doch noch Schleifspuren gefunden. Es sieht so aus, als wäre er am Boden sitzend mit der Schlinge um den Hals nach oben gezogen worden. Der Abrieb von Rinde am Seil lässt kaum einen anderen Schluss zu.»
«Todeszeitpunkt?»
«Zwischen drei und drei Uhr dreißig. Genauer krieg ich es nicht hin.»
«Das reicht. Danke.»
«Gern geschehen.»
Es entstand eine kurze Pause. «Wie geht es dir?», fragte Kilian.
Pia schmunzelte. «Genauso wie heute Morgen. Keine Sorge, ich passe schon auf.»
«Du weißt, wenn was ist …»
«… ruf ich dich an. Ich weiß. War’s das jetzt?»
Kilian stimmte notgedrungen zu und legte auf. Schwangere neigen zur Selbstüberschätzung oder werden depressiv, sagte er sich. Pia gehörte eindeutig zur ersten Kategorie. Er konnte nur hoffen, dass er dann rechtzeitig zur Stelle war.
Heinlein kam zur Tür herein. Seine Miene zeigte wenig Begeisterung. Natürlich war alles so gekommen, wie es sich Kilian gedacht hatte. «Dann erzähl mal. Was erwarten die Herrschaften von dir?»
«Von uns», korrigierte Heinlein missmutig, «du bist ab sofort wieder mit dabei. Alles andere hat zu ruhen.»
«Soll mir recht sein. Apropos und ganz inoffiziell: Ich sehe keinen Anlass wegen des toten Jungen weiterzuermitteln. Nach meinen Erkenntnissen handelte es sich um einen Unfall, an dem sonst niemand beteiligt war. Nirgends sind Spuren einer Fremdeinwirkung festzustellen, und es gibt auch keinen Grund, die Angaben von Thomas und den anderen zu bezweifeln. Diese Empfehlung geht heute noch an die Staatsanwaltschaft.»
Heinlein fiel ein Stein vom Herzen. «Danke. Doch es bleibt das Blut an seinen Ärmeln.»
«Die Jungs legen den Zeitpunkt der Anhaftung auf den Streit, der sich am Bildstock zugetragen hat. Auch hier konnte ich nichts anderes nachweisen. Das dürfte bei einem wohlmeinenden Staatsanwalt ausreichen.»
Nochmals bedankte sich Heinlein. Jetzt galt es abzuwarten, welcher Staatsanwalt den Bericht Kilians in die Hände bekam.
«Und wer unterstützt uns bei den Ermittlungen in Sachen Zinnhobel und Mangel?», fragte Kilian.
«Niemand.»
Kilian zeigte sich erstaunt. «Mehr sind ihnen ein toter Richter und ein Staatsanwalt nicht wert?»
«Das ist ziemlich erbärmlich, ich weiß. Aber natürlich bekommen wir jede Unterstützung, die wir brauchen. Doch zuerst sollen wir das allein in den Griff bekommen.»
«Klingt nach Überstunden.»
«Als hätten wir nicht schon genug davon. Manchmal frage ich mich, wieso ich den Scheiß nicht hinschmeiße. Soll sich ein anderer für den Hungerlohn abrackern.»
«Hartz IV ist keine Alternative», sagte Kilian im Scherz.
«Wenn ich alle meine Überstunden zusammenzähle, bin ich nicht mehr weit davon entfernt.»
«Sechs Wochen Urlaub, Pensionsansprüche und ein sicherer Arbeitsplatz sind auch nicht ohne.»
Heinlein schaute ihn entgeistert an. «Bist du jetzt ins Arbeitgeberlager gewechselt, oder wie soll ich das verstehen?»
«Dass es uns nach wie vor gutgeht, auch wenn wir in Arbeit versinken.»
«Oder uns eine Kugel einfangen. Wenn ich meine Gesundheit nicht täglich aufs Spiel setzen müsste, würde ich auch gar nicht maulen. Aber solange wir den Kopf hinhalten müssen,
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