Das Mordkreuz
erwarte ich mehr als das, was sie uns hinwerfen.»
Sabine klopfte an den Türrahmen. «Tut mir leid, wenn ich euren Polit-Talk stören muss … Da ist ein Mann, der letzte Nacht beim Mangel etwas gesehen haben will.»
Nur ungern ließ sich Heinlein unterbrechen, er war gerade in Fahrt gekommen. «Schick ihn rein, wenn’s unbedingt sein muss.»
«Du hast ja wieder eine Laune», protestierte sie und ging vor die Tür.
Bei dem Zeugen handelte es sich um Manfred Knorr, einen ehemaligen Arzt, der seine Schäfchen rechtzeitig ins Trockene hatte bringen können, bevor die Gesundheitsreform seiner Zunft so heftig zugesetzt hatte. In der Hand hielt er die heutige Ausgabe der
Main-Post
.
«Ich habe sie gesehen», antwortete er auf die Frage Heinleins, was er bezeugen wolle.
Er hielt ihm die Zeitung hin. «Die Weiße Frau. Genau so hat sie ausgeschaut.»
Auf der Titelseite war eine Phantomzeichnung erstellt worden, die sich offensichtlich auf die Zeugenaussagen stützte. Das Bild zeigte eine weiße strahlende Frau, wie sie aus Marienverehrungen bekannt war.
Kilian glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. «Sie haben diese Erscheinung tatsächlich gesehen?»
«Ja … so gut wie.»
«Haben Sie sie nun gesehen oder nicht?», fragte Heinlein.
«Sie war vollkommen von Licht umgeben. Einem hellen, gleißenden Licht. Und als ich das heute in der Zeitung gelesen habe, wusste ich, dass ich mich nicht getäuscht habe. Es handelt sich um diese Frau.»
«Sie hatten also vorher Zweifel an Ihrer Beobachtung?», hakte Kilian nach.
«Ich nicht, aber meine Frau. Aber die meckert auch an allem rum.» Er suchte nach einer passenden Beschreibung. «Kennen Sie den Unterschied zwischen Gott und meiner Frau?»
Die beiden Kommissare verneinten.
«Gott weiß alles, aber meine Frau weiß alles besser.»
«Dann berichten Sie uns doch von Anfang an, was Sie gesehen haben», forderte Heinlein ihn auf.
«Letzte Nacht ist es gewesen …»
«Wann genau?», wollte Kilian wissen.
«Mitten in der Nacht. Wir haben keine Uhr im Schlafzimmer mehr. Meine Frau hat darauf bestanden, weil …»
«Schon gut. Was ist passiert?»
«Unser Schlafzimmer geht zur Veranda raus. Geradewegs in Richtung Wald. Wir sind kurz nach den Tagesthemen ins Bett gegangen, und meine Frau wollte unbedingt das Fenster geschlossen haben. Aber ich mag das nicht. Die stickige Luft und …»
«Ich kann Sie gut verstehen», unterbrach Heinlein das drohende Abgleiten in Nebensächlichkeiten. «Wie ging es weiter?»
«Mitten in der Nacht bin ich aufgestanden und hab das Fenster ein Stück geöffnet. Nur so viel, dass etwas frische Luft reinkommt. Und als ich da stehe, sehe ich auf einmal dieses Licht drüben beim Mangel. Es war so hell, dass ich mir die Augen zuhalten musste.»
«Wie konnten Sie dann überhaupt etwas erkennen?», fragte Kilian.
«Ich habe die Hand vor die Augen gehalten und durch die Fingerritzen geschaut. Das ging so halbwegs.»
«Was haben Sie bei Staatsanwalt Mangel beobachten können?»
«Zuerst nur wenig, aber dann so viel, dass ich erkennen konnte, wie er über den Gartenzaun gesprungen ist. Er ist gestürzt und schließlich im Wald verschwunden.»
«Und das Licht? Sie glaubten doch, ein Licht gesehen zu haben. Was ist mit ihm geschehen?»
«Es hat den Garten von Mangel vollkommen erleuchtet.» Kilian seufzte.
«Sie wollen eine Weiße Frau in dem Licht erkannt haben?», fragte Heinlein.
«Ja. Ich habe meine Frau noch geweckt und ihr gesagt, dass sie sich das anschauen soll.»
«Hat sie?»
«Von wegen. Gemeckert hat sie, weil das Fenster offen stand, bei dieser Hitze.»
Kilian suchte die entsprechende Stelle im Bericht der Spurensicherung. «Auf der Mangel’schen Veranda ist ein Bewegungsmelder installiert, der mit einer Fünfhundertwattlampe verbunden ist. Haben Sie dieses Licht vielleicht fälschlicherweise …»
«Nein, das war etwas anderes.»
«Wie weit ist das Haus von Staatsanwalt Mangel von Ihrem entfernt?»
«Es ist gleich das Übernächste. Nur der Öhrlein ist dazwischen.»
«Wir konnten ihn heute nicht erreichen, als wir die Nachbarn befragt haben.»
«Der ist auf Montage und kommt erst am Wochenende zurück.»
«Wo haben Sie sich heute aufgehalten? Die Kollegen konnten auch Sie nicht befragen.»
«Meine Frau und ich sind erst vor einer Stunde zurückgekommen. Wir haben einen Ausflug nach Mespelbrunn unternommen. Als ich davon hörte, was letzte Nacht passiert ist, bin ich gleich zur Polizei.»
«Was macht
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