Das Mordkreuz
Wutausbruch aus nichtigem Grund. Und schließlich üble Nachrede unter den Kollegen.»
«Ihre Schwester hat das nicht vertragen, nehme ich an.»
«Andrea ist eine zarte Seele. Leicht einzuschüchtern und unfähig, sich gegen so einen Pascha zur Wehr zu setzen. Vor drei Wochen hatte ich dann genug. Sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich musste eingreifen.»
«Sie haben ihn an dem betreffenden Tag abgepasst.»
«Nein, ich habe ihn zufällig getroffen. Wenn er nicht augenblicklich sein Verhalten gegenüber Andrea und denanderen Frauen ändere, würde ich Beschwerde gegen ihn einreichen.»
«Was hat er darauf geantwortet?»
«Er hat gelacht, das Schwein.»
«Sind Sie handgreiflich geworden?»
«Nein, dafür war er schon zu betrunken. Gereizt hat es mich schon, um ehrlich zu sein. Aber er tat mir auf der anderen Seite auch wieder leid.»
«Ich denke, Sie waren wütend auf ihn?»
«Ja, das auch. Es war eine dieser Situationen, in denen man ausrasten könnte, dann aber einsehen muss, dass jedes weitere Wort vergebens ist, geschweige denn eine Ohrfeige oder mehr nichts bringt. Es wäre letztlich wieder auf Andrea zurückgefallen, und das wollte ich ihr nicht antun. Er war einfach nur ein armes, jämmerliches Schwein, das Respekt nur mit Drohungen und mit Macht aufrechterhalten konnte.»
«Haben Sie ihm gedroht?»
«Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht.»
Heinlein wog Imhofs Aussagen ab. Sie kamen spontan. Der Mann schien nicht zu lügen.
«Es kann sein, dass Sie einer der Letzten waren, der Zinnhobel lebend gesehen hat», sagte Heinlein. «Wieso haben Sie das der Polizei nicht gemeldet?»
«Hätte ich das gesollt?»
«Ja.»
«Wenn ich mich recht erinnere, bin ich kurz darauf zu einer Messe gefahren. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass Zinnhobel verschwunden war.»
«Wie lange waren Sie auf der Messe?»
«Mit allen Reisetagen, eine gute Woche.»
«Von Zinnhobels Verschwinden haben Sie nichts erfahren?»
«Doch, natürlich. Als ich zurückkam, war Andrea sichtlich erholt. Es hätte ihr und den anderen Frauen kaum bessergehen können. Jede hoffte insgeheim, dass er noch möglichst lange verschwunden bleibt. Niemand hat daran gedacht, dass er tot ist.»
«Es hat ihm aber jede gewünscht?»
«Das müssen Sie die Frauen fragen. Ich für meinen Teil weine ihm keine Träne nach. Es tut mir leid für seine Frau.»
«Sie machen kein Hehl aus Ihrer Abneigung. Das trifft man nicht oft. Besonders nicht, wenn man dadurch leicht in Verdacht geraten kann.»
«Stehe ich denn unter Verdacht?»
«Bisher nicht. Wobei Sie ja offensichtlich ein Motiv haben. Bleibt folglich nur die Frage nach der Gelegenheit. Wo waren Sie am Abend, nachdem Sie Zinnhobel auf dem Weingut gesprochen haben?»
«Das müsste ich in meinem Timer nachsehen. Einen Moment, bitte.»
Imhof erhob sich und zog aus seinem Aktenkoffer ein ledergebundenes Notizbuch heraus. Er blätterte, bis er die entsprechende Seite gefunden hatte.
«Das war kurz vor der Messe. Hier steht es. Wir hatten eine Weinverkostung und ein anschließendes Gespräch, wie wir auf der Messe auftreten wollten.»
«Gibt es dafür Zeugen?»
«Um die fünfzig.»
«Können Sie mir die Namen geben? Ich werde das überprüfen müssen.»
«Reicht es, wenn ich sie Ihnen bis morgen früh schicke? Ich muss dazu in mein Büro.»
«Sicher.»
Heinlein war angenehm von der Direktheit und Offenheit Imhofs überrascht. Dieser Mann redete nicht drum herum, sondern kam verbindlich auf den Punkt. Und darüber hinaus besaß er Geschmack. Nur zu gern wäre er die Treppe hinaufgestiegen und hätte diesen alten Turm besichtigt.
«Soll ich Ihnen den Turm mal zeigen?», fragte Imhof unvermittelt.
«Ich möchte nicht unhöflich sein, aber das würde mich brennend interessieren.»
«Gut, dann kommen Sie mit. Im ersten Stock befindet sich das Schlafzimmer. Ganz oben, im Turmzimmer, habe ich ein Wohnzimmer und die Bibliothek eingerichtet. Von dort aus hat man einen exzellenten Blick über den Ort und auf den Main.»
Stufe um Stufe stieg Heinlein hinauf in den Turm. Imhof hatte nicht zu viel versprochen. Dieses ungewöhnliche Haus war ein Traum.
Was hätte er darum gegeben, es gegen seine Nobelhütte mit Klimaanlage im Frauenland einzutauschen.
16
Die Jahre flogen dahin.
Ich hatte das große Los mit meiner neuen Familie gezogen. In ihrem Kreis fühlte ich mich angenommen und verstanden. Clara und Ricardo waren im Geist der Achtundsechziger groß geworden. Druck und
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