Das Mordkreuz
Tralee
. Darin wird eine Frau namens Mary beschrieben, die vermutlich die große Liebe des Komponisten war.
Vor rund fünfzig Jahren hat sich eine Gruppe von Geschäftsleuten in einer Kneipe in Tralee getroffen. Tralee ist die Hauptstadt der Grafschaft Kerry im Südwesten Irlands. Eigentlich ging es um das lokale Pferderennen, für das mehr Besucher begeistert werden sollten. Bei dieser Zusammenkunft wurde die Idee der Rose of Tralee geboren, eines Wettbewerbs, bei dem die anmutigste und schönste Frau irischer Abstammung gekürt werden sollte.»
«Also ein Model-Wettbewerb?», unterbrach Heinlein.
«Nein, es geht, laut Aussage der Veranstalter, eher darum, die Liebenswerteste unter allen irischen Frauen zu finden. Und Liebenswertigkeit hat dort wohl mehr als nur mit dem Aussehen zu tun. Unterschlagen dürfen wir dabei nicht, dass alle Frauen mit irischer Abstammung an dem Wettbewerb teilnehmen dürfen. Also auch die Ausgewanderten aus Ländern wie den Vereinigten Staaten, Australien oder Neuseeland. Die Preisträgerin aus dem Jahr 1990 kam zum Beispiel aus Deutschland.»
«Aha, davon habe ich noch nie gehört.»
«Kein Wunder. Der Wettbewerb ist außerhalb der Landesgrenzen auch kaum bekannt. Doch in Irland hat er Kultstatus. Er wird vom irischen Staatsfernsehen übertragen und erzielt Einschaltquoten, wie sie bei uns nur
Wetten, dass …?
oder die Fußballweltmeisterschaft erzielen.
Aber bevor es dazu kommt, finden in den rund dreißig Grafschaften Vorwahlen statt. Nur sechs dürfen an dem Finale in Tralee teilnehmen. Und dort wählt man dann diese Rós Fódhla, die ausdrücklich die irische Geschichte und die ursprüngliche gälische Kultur repräsentiert.»
«Gut, das habe ich so weit verstanden. Doch wie kommt eine Rós Fódhla zu uns, oder besser gesagt, ein Steinkreuz mit dieser Inschrift?»
«Das herauszufinden ist Ihr Job.»
«Gab es vor oder nach 1990 noch eine Gewinnerin, die in Deutschland lebte?»
«Meiner Kenntnis nach nicht.»
«Eine Teilnehmerin vielleicht?»
«Tut mir leid.»
Heinlein bedankte sich für Kremers Hilfe und beendete das Gespräch. Die Rós Fódhla oder Rose von Tralee war eine völlig neue Komponente in diesem Fall. Sie mussten nicht unbedingt etwas mit Rosie Wilde zu tun haben. Es war ja noch nicht mal sicher, ob das Steinkreuz ihr zu Ehren errichtet wurde. Es könnte sich auch um jemanden handeln, der ein weitgereistes Unfallopfer war.
Heinlein rief Sabine an. Sie sollte alle Todesfälle und Unfälle in den letzten fünfzig Jahren an der Autobahnauffahrt recherchieren, bei der eine Frau beteiligt war, die einen Bezug zu Irland oder zu diesem Wettbewerb aufwies.
Er wollte nun schnellstens aufessen. Als er sein Tablett zum Abräumwagen jonglierte, kam ihm Lohmann in die Quere. Man kannte sich, hatte schon mal an einigen Fällen zusammengearbeitet, mehr nicht.
«Na, Schorsch», sagte er, «auch mal wieder unter den Normalsterblichen?»
Heinlein schwoll der Kamm. «Was soll dieses blöde Gequatsche», blaffte er zurück.
Lohmann, wegen der unerwarteten Reaktion völlig irritiert, schlich sich eilig und wortlos davon.
Nun im Fokus der Aufmerksamkeit, schaute Heinlein in die Gesichter seiner überraschten Kollegen. «Ich weiß ganz genau, was ihr von mir denkt. Aber lasst euch gesagt sein: Ich pfeif drauf.»
38
Eigentlich war es viel zu heiß zum Essen. Kilian stand im Schatten der Universitätsbibliothek. Ein paar hundert Meter entfernt an der Zeppelinstraße lagen ein Italiener und ein Grieche, bei denen er einen Salat zu sich nehmen könnte. Mehr vertrug er bei der Hitze wirklich nicht. Die Luft schien nicht nur zu stehen, sondern zu flimmern. Seinen Wagen hatte er unbedacht in die pralle Sonne gestellt. In den konnte er jetzt unmöglich einsteigen.
Blieb also nur der Fußweg. Er schulterte das Jackett, setzte die Ray-Ban auf und stieg die Treppen hinunter. Zu seiner Linken befand sich die Baustelle, wo Heinlein und er tags zuvor Gerald Wilde befragt hatten. Nun schien der Bau verlassen. Die Arbeiten waren eingestellt, und die Arbeiter hatten sich in einen Bauwagen zurückgezogen, den sie vorsorglich unter einem schattigen Baum geparkt hatten. Dort schien zu seiner Überraschung die Luft ein wenig in Bewegung zu sein, gemessen an einem Windrad, das vermutlich von den Kindern des gegenüberliegenden Kindergartens gepflanzt worden war.
Das war eine günstige Gelegenheit, dachte er. Ein wenig Frischluft und vielleicht ein paar zusätzliche Informationen, die er
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