Das Moskau-Komplott
einem israelischen Agenten geholfen, Arkadij Medwedew und fünf seiner Sicherheitsleute zu töten. Wie lange, glauben Sie, habe ich noch zu leben, wenn ich in Moskau bleibe? Eine Woche, wenn ich Glück habe. Ich komme mit Ihnen.«
»Noch ein Überläufer? Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Ich denke, Sie werden bald feststellen, dass ich Gold wert bin. Ich stelle nämlich seit Jahren heimlich Nachforschungen über die Beziehungen zwischen Männern wie Iwan Charkow und dem FSB an. Außerdem weiß ich eine Menge über Iwans kleinen Waffenschieberring. Viel mehr als Sie, vermute ich mal. Sind Sie sicher, dass Sie mich nicht mitkommen lassen wollen, Allon?«
»Wir hätten gegen etwas Gesellschaft nichts einzuwenden, Oberst. Außerdem ist es eine lange Fahrt, und ich habe keine Ahnung, wie wir hier rauskommen.«
Bulganow nahm den Fuß von der Bremse und fuhr nach rechts. Gabriel bat ihn anzuhalten.
»Was ist denn?«, fragte Bulganow.
»Wir fahren in die falsche Richtung.«
»Wir wollen doch in die Ukraine. Und rechts geht es in die Ukraine. Sehen Sie sich doch das Schild an.«
»Wir haben vorher noch ein paar Dinge zu erledigen.«
»Wo?«
Gabriel deutete nach links.
MOCKBA ...
68 Moskau
In den Moskauer Außenbezirken gab es einen Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet war. Er war vielleicht nicht der größte Supermarkt der Welt, dachte Gabriel, aber er kam bestimmt gleich an zweiter Stelle: Tausende von Quadratmetern Tiefkühlkost, ein Kilometer Kekse und Cracker, ein weiterer Kilometer amerikanische Soft Drinks und eine albtraumhafte Wand, an der Tausende von Schweinswürsten hingen. Und das waren nur die Lebensmittel. Am anderen Ende des Marktes war eine Abteilung, die sich >Heim und Garten< nannte und in der es alles von Textilien über Motorräder bis zu Rasentraktoren zu kaufen gab.
Wer in Moskau brauchte einen Rasentraktor?,
fragte sich Gabriel.
Wer in Moskau hatte überhaupt einen Rasen?
»Die sind für die Datschen«, erklärte Elena. »Jetzt, wo die Russen Geld haben, möchten sie nichts mehr von Hand machen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber wozu hat man eine Datscha, wenn man sich nicht die Hände schmutzig machen will?«
Wieso der Markt die ganze Nacht geöffnet blieb, war ein Rätsel, denn um zwei Uhr morgens war er wie ausgestorben. Sie hasteten durch endlose Gänge mit Konsumgütern und nahmen sich aus den Regalen, was sie brauchten: saubere Kleidung, Verbandszeug und Desinfektionsmittel, zwei große Sonnenbrillen, genug Snacks und Cola, um auf einem Road Trip im Morgengrauen bei Kräften zu bleiben. Als sie mit dem Einkaufswagen an der Kasse vorfuhren, zuckte die schläfrige Kassiererin beim Anblick von Gabriels Auge zusammen. Elena erklärte verächtlich, dass »ihr Mann« sein Auto in einen Graben gefahren habe - natürlich nachdem er sich sinnlos mit Wodka betrunken hatte. Die Kassiererin schüttelte traurig den Kopf, während sie die Preise eintippte. »Russische Männer«, murmelte sie. »Die ändern sich nie.«
Gabriel trug die Tüten zum Wagen hinaus und stieg wieder mit Elena hinten ein. Bulganow, der alleine vorn saß, erzählte ihnen eine Geschichte, während sie in Richtung Innenstadt fuhren. Es war die Geschichte eines jungen kgb-Offiziers, der Lenins und Stalins Lügen nie wirklich geglaubt und in aller Stille mit einem Glas Wodka einen Toast ausgebracht hatte, als das Reich der Täuschung endlich zusammengebrochen war. Nach dem Sturz des Kommunismus wollte er den Dienst quittieren, doch sein Mentor überredete ihn zu bleiben und dabei zu helfen, aus dem kgb einen wirklich professionellen Dienst zu machen. Er hatte widerstrebend eingewilligt und im fsb, der für das Inland zuständigen Nachfolgeorganisation des kgb, Karriere gemacht, nur um dann festzustellen, dass er zu etwas noch Schlimmerem verkam, als es der kgb gewesen war. Unter hohen persönlichen Risiken hatte sich der junge Mann einer Gruppe von Offizieren angeschlossen, die hofften, den fsb reformieren zu können.
In aller Stille,
sagte Bulganow.
Von innen heraus.
Doch sie mussten bald erkennen, dass die Führungsriege und ihre Chefs im Kreml an Reformen nicht interessiert waren. Also tauchte die Gruppe ab. Und begann, ein Dossier anzulegen.
»Unser Dossier malt kein schönes Bild. Der fsb ist in Auftragsmorde, Prostitution und Drogenhandel verstrickt. Der fsb ist in die Geschäfte dubioser Oligarchen verstrickt. Und Schlimmeres. Wer, glauben Sie, hat die Bombenanschläge auf die Wohnhäuser geplant und
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