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Das Moskau-Komplott

Das Moskau-Komplott

Titel: Das Moskau-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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von ihnen ins Atrium schieben. Dort blieb er stehen, tauschte die Sonnenbrille gegen eine Hornbrille und schritt zur Mitte des riesigen Mittelschiffs. Er stand vor dem Papstaltar, als Boris Ostrowskij durch das Portal hereinkam.
    Der Russe schritt hinüber zur Kapelle der Pietä. Nachdem er nur dreißig Sekunden lang vorgegeben hatte, Michelangelos Meisterwerk zu bewundern, ging er rechts das Hauptschiff hinauf und blieb dann abermals stehen, diesmal vor dem Grabdenkmal für Pius XII. Die Bronzeskulptur des Papstes verdeckte Gabriel vorübergehend die Sicht auf den Russen. Er blickte zur anderen Seite des Hauptschiffs. Lavon stand am Eingang zu den Vatikanischen Grotten. Ihre Blicke begegneten sich kurz. Lavon nickte einmal. Gabriel schaute ein letztes Mal nach oben in die Kuppel, dann machte er sich auf den Weg zu der Stelle, an der ihn der Russe erwartete.
    Die Skulptur Pius' XII. ist merkwürdig. Die rechte Hand ist zum Segnen erhoben, doch der Kopf ist ein paar Grad nach rechts gedreht, eine leicht abwehrende Haltung, die den Anschein erweckt, als versuche der Weltkriegspapst, einen Hieb zu parieren. Noch merkwürdiger jedoch war der Anblick, der sich Gabriel bot, als er die Nische betrat, in der die Statue steht. Boris Ostrowskij kniete vor dem Sockel, das Gesicht jäh zur Decke gerichtet, die Hände an seinem Hals. Ein paar Schritte abseits unterhielten sich drei afrikanische Nonnen flüsternd auf Französisch, als sei nichts Ungewöhnliches daran, dass ein Mann in glühender Verehrung vor der Statue eines so bedeutenden Papstes auf die Knie fiel.
    Gabriel schlüpfte an den Nonnen vorbei und eilte an Ostrowskijs Seite. Die Augen des Russen waren vorgequollen und starr vor Entsetzen, und seine Hände umklammerten seinen Hals, als versuche er, sich selbst zu erwürgen. Was er natürlich nicht tat. Er versuchte nur, Luft zu bekommen. Seine Beschwerden wirkten nicht natürlich, und Gabriel wusste sofort, dass der Russe vergiftet worden war. Irgendwie, irgendwo hatte es ein Mörder trotz all ihrer Vorsichtsmaßnahmen geschafft, an ihn heranzukommen.
    Gabriel ließ Ostrowskij vorsichtig zu Boden sinken und sprach ihm leise ins Ohr, während er versuchte, seine Hände auseinanderzulösen. Die Nonnen drängten sich um sie und begannen zu beten, Schaulustige strömten herbei. Keine dreißig Sekunden später erschienen die ersten Gendarmen der Vigilanza, des vatikaneigenen Polizeikorps. Zu diesem Zeitpunkt war Gabriel nicht mehr da. Er stieg seelenruhig die Stufen der Kirche hinab, die Sonnenbrille auf der Nase und Eli Lavon an seiner Seite. »Er war sauber«, beteuerte Lavon. »Ich sage dir, er war sauber.«
     

8 Vatikanstadt
    Es dauerte nur eine Stunde, bis die Nachricht von dem Todesfall im Petersdom über den italienischen Äther ging, und eine weitere Stunde, bis die erste Meldung in den Europanachrichten der BBC kam. Um acht Uhr abends hatte der Tote einen Namen. Um neun einen Beruf.
    Um 21.30 Uhr römischer Zeit wuchs das weltweite Interesse an Ostrowskijs Tod drastisch an, als ein Sprecher des vatikanischen Pressebüros eine knappe Erklärung abgab, in der er andeutete, dass der russische Journalist offenbar einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei. Die Erklärung löste in Nachrichtenredaktionen in aller Welt hektische Aktivitäten aus, zumal es ein sonst eher ruhiger Tag war, und bis Mitternacht reihten sich auf der Via della Conciliazione Satelliten-Übertragungswagen vom Tiber bis zum Petersplatz. Experten wurden hinzugezogen, um den Fall unter allen erdenklichen - realen wie spekulativen - Aspekten zu beleuchten: Experten für die Polizei- und Sicherheitskräfte des Vatikan, Experten für die gefährlichen Arbeitsbedingungen von Journalisten in Russland, Experten für den Petersdom selbst, der zum Tatort erklärt und abgeriegelt worden war. Ein amerikanischer Kabelkanal interviewte sogar den Autor eines Buches über Pius XII., vor dessen Statue Ostrowskij gestorben war. Der Gelehrte erging sich gerade in müßigen Spekulationen über eine mögliche Verbindung zwischen dem toten russischen Journalisten und dem umstrittenen Papst, als Gabriel in einer ruhigen Seitenstraße unweit der vatikanischen Mauern seine Vespa abstellte und zu Fuß den Weg zum St.-Anna-Tor einschlug.
    Ein junger Priester stand gleich hinter dem Tor und plauderte mit einem Schweizergardisten, der eine schlichte blaue Nachtuniform trug. Der Geistliche begrüßte Gabriel mit einem Nicken, drehte sich um und führte ihn schweigend die Via

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