Das Moskau-Komplott
Sicherheitszentrale des Vatikans auch ohne Begleitung. Bedauerlicherweise kannte er den Weg. Kurz vor dem Überfall auf den Petersdom hatte er dort fieberhaft nach Beweisen dafür gesucht, dass die al-Qaida einen Agenten in den Vatikan eingeschleust hatte. Hätte er damit nur ein paar Minuten früher beginnen können, hätte er möglicherweise den blutigsten Anschlag islamistischer Terroristen seit dem 11. September verhindern können.
Ispettore Mateo Cassani, eine gepflegte Erscheinung in einem gut geschnittenen dunklen Anzug, wartete im Empfangsraum. Er musterte Gabriel aus zwei müden, blutunterlaufenen Augen, dann streckte er ihm die Hand entgegen. »Willkommen zurück, Signore. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Sie gingen durch einen schmalen Gang und blieben kurz in einer offenen Tür stehen. Im Raum dahinter saßen zwei uniformierte Vigilanza-Beamte vor einer Wand aus Bildschirmen. Gabriel überflog rasch die Bilder: St.-Anna-Tor, der Glockenbogen, der Petersplatz, der San-Damaso-Hof der vatikanische Garten, das Innere des Petersdoms.
»Das ist unser Hauptüberwachungsraum. Er dient uns in Krisenzeiten auch als Befehlszentrale, wie damals am Morgen des Überfalls. Alles wird aufgezeichnet und digital gespeichert. Bis in alle Ewigkeit«, fügte er mit einem müden Lächeln hinzu. »Solange die heilige Mutter Kirche existiert.«
»Das habe ich befürchtet.«
»Keine Sorge, Signore. Ich weiß, wer Sie sind, und ich weiß genau, was Sie an dem Tag, als uns diese Terroristen hier überfallen haben, geleistet haben. Die Kirche hat innerhalb von Sekunden vier Kardinäle und acht Bischöfe verloren. Und wenn Sie nicht gewesen wären, hätten wir womöglich auch einen Papst verloren.«
Sie verließen den Überwachungsraum und traten in ein beengtes Büro, das auf den dunklen Belvedere-Hof hinausging. Cassani setzte sich vor einen Desktopcomputer und forderte Gabriel auf, ihm über die Schulter zu blicken.
»Monsignore Donati hat mir gesagt, Sie wollen alle Aufnahmen sehen, die wir von dem toten Russen haben?«
Gabriel nickte. Der Inspektor klickte mit der Maus, und das erste Bild erschien, ein Weitwinkelfoto des Petersplatzes, aufgenommen von einer Kamera, die auf der linken Seite der Kolonnaden montiert war. Das Bild rückte im Takt von einer Aufnahme pro Sekunde weiter. Als die Zeitanzeige in der linken unteren Bildschirmecke bei 15:47:23 angelangt war, klickte Cassani auf PAUSE und deutete in die rechte obere Ecke.
»Da ist Signor Ostrowskij. Er betritt den Platz allein und steuert geradewegs auf die Sicherheitskontrolle vor der Basilika zu.« Cassani blickte zu Gabriel. »Man könnte fast meinen, er wollte sich drinnen mit jemandem treffen.«
»Können Sie die Bilder laufen lassen?«, fragte Gabriel.
Der Inspektor klickte auf PLAY, und Boris Ostrowskij schritt über den Platz, in sicherem Abstand gefolgt von Eli Lavon. Neunzig Sekunden später, als Ostrowskij zwischen Obelisk und linkem Brunnen durchging, verschwand er aus dem Blickfeld der Kamera auf der Kolonnade und trat in das Blickfeld einer anderen, die in der Nähe der Benediktionsloggia angebracht sein musste. Sekunden später war er von einer Touristentraube umringt. Eine einzelne männliche Gestalt näherte sich vom linken Bildrand. Statt zu warten, bis die Touristen vorüber waren, zwängte sich der Mann mitten durch sie hindurch. Er rempelte mehrere Mitglieder der Gruppe an, auch Ostrowskij, und strebte dann dem Eingang des Platzes zu.
Gabriel verfolgte die letzten drei Minuten im Leben des Boris Ostrowskij: wie er bei der Sicherheitskontrolle kurz anstand, wie er durch die Tür des Filarete ging, wie er in der Kapelle der Pietä verharrte und wie er dann seinen letzten Gang zum Grabdenkmal Pius' XII. antrat. Exakt siebenundsechzig Sekunden nach seiner Ankunft am Treffpunkt sank er vor der Statue auf die Knie und griff sich an den Hals. Gabriel erschien zweiundzwanzig Sekunden später, rückte im Rhythmus von einem Bild pro Sekunde geisterhaft über den Bildschirm. Der Inspektor schien bewegt, als er sah, wie Gabriel den sterbenden Russen behutsam auf den Boden legte.
»Hat er noch etwas gesagt?«, fragte er.
»Nein, nichts. Er konnte nicht sprechen.« »Was haben Sie zu ihm gesagt?«
»Ich habe zu ihm gesagt, dass es nicht schlimm ist zu sterben. Und dass er jetzt in eine bessere Welt kommt.«
»Glauben Sie an Gott, Signor Allon?«
»Fahren Sie zurück zu der Aufnahme bei fünfzehn-fünfzig.«
Der Inspektor tat wie geheißen, und
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