Das Moskau-Komplott
Tatort erklärt worden. Der Justizminister hat alle Zeugen des tödlichen Zwischenfalls aufgefordert, sich unverzüglich zu melden. Ich nehme an, das gilt auch für dich.« Schamron musterte Gabriel einen Moment. »Ich habe das Gefühl, du steckst ein wenig in der Klemme.«
»Donati hat versprochen, meinen Namen herauszuhalten.«
»Der Vatikan versteht sich weiß Gott darauf, Geheimnisse zu bewahren, aber ich bin mir sicher, dass auch andere von deiner Verwicklung in die Sache wissen. Wenn einer von denen Donati - oder auch uns - in Verlegenheit bringen will, braucht er nur bei der Polizia di Stato anzurufen.«
»Boris Ostrowskij wurde auf dem Petersplatz von einem russischen Profikiller ermordet.« Gabriel zog eine Aktenmappe aus der Seitenklappe seiner Tasche und reichte sie Schamron. »Und diese Fotos beweisen es.«
Schamron schaltete die Leselampe ein und sah sich die Aufnahmen an. »Das ist ganz schön dreist, selbst für russische Verhältnisse. Ostrowskij muss etwas sehr Wichtiges gewusst haben, sonst hätten sie nicht zu diesem Mittel gegriffen.«
»Ihr habt wohl eine Theorie?«
»Leider nein.« Schamron schob die Fotos in die Aktenmappe zurück und knipste die Lampe aus. »Unsere lieben Freunde im Kreml verkaufen in bislang ungekanntem Ausmaß moderne Waffensysteme an Schurkenregime im Nahen und Mittleren Osten. Die Mullahs im Iran gehören zu ihren besten Kunden, aber sie haben ihre alten Freunde in Damaskus mit Flug- und Panzerabwehrsystemen beliefert. Wir haben Berichte abgefangen, wonach die Syrer und der Kreml vor dem Abschluss eines größeren Geschäfts stehen. Es geht um moderne russische Raketen vom Typ Iskander, ein hoch mobiles System mit einer Reichweite bis zu 280 km. Tel Aviv würde in die Reichweite der Syrer geraten, und ich brauche dir nicht zu erklären, was das für Folgen hätte.«
»Es würde das strategische Gleichgewicht im Nahen Osten über Nacht verändern.«
Schamron nickte nachdenklich. »Und nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Kreml ist das leider nur eine von vielen beunruhigenden Möglichkeiten. Überall in der Region kursieren Gerüchte über irgendwelche neuen Geschäfte. Wir sind seit Monaten an der Sache dran. Aber bislang haben wir nichts rausbekommen, was wir dem Ministerpräsidenten vorlegen könnten. Ich fürchte, er wird langsam ungehalten.«
»Das gehört zu seinen Aufgaben.«
»Und zu meinen auch.« Schamron lächelte freudlos. »Aus all diesen Gründen war es uns so wichtig, dass du dich mit Boris Ostrowskij triffst. Und jetzt wollen wir, dass du nach Russland fliegst und herausfindest, was er dir sagen wollte.«
»Ich ?
Ich habe noch nie einen Fuß nach Russland gesetzt. Ich kenne mich dort nicht aus. Ich spreche nicht einmal die Sprache.«
»Du hast etwas, was wichtiger ist als Kenntnisse von Land und Sprache.« »Und das wäre?«
»Einen Namen und ein Gesicht, das die überaus nervösen Mitarbeiter der
Moskowskij Gaseta
wiedererkennen werden.«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach werden es auch die russischen Sicherheitsdienste wiedererkennen.«
»Dafür haben wir einen Plan«, sagte Schamron. Der Alte lächelte. Er hatte für alles einen Plan.
11 Jerusalem
An beiden Enden der Narkissstraße, einer ruhigen, schattigen Gasse im Herzen Jerusalems, waren Sicherheitsbeamte postiert, und ein weiterer stand vor dem Eingang zu dem schmucklosen, kleinen, aus Kalkstein errichteten Wohnhaus mit der Nummer 16. Als Gabriel, mit Schamron im Schlepptau, die kleine Eingangshalle durchquerte, sparte er sich die Mühe, einen Blick in seinen Briefkasten zu werfen. Er bekam nie Post, und der Name auf dem Briefkasten war falsch. Für die Bürokratie des Staates Israel existierte kein Gabriel Allon. Er war niemand, er wohnte nirgendwo. Er war der ewig rastlose Jude.
Auf dem Sofa in Gabriels Wohnzimmer saß Uzi Navot, die Füße auf dem Couchtisch und zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand einen israelischen Diplomatenpass. Er zog ein gelangweiltes und gleichgültiges Gesicht, als er ihm den Pass zur Begutachtung reichte. Gabriel schlug ihn auf und betrachtete das Foto. Es zeigte einen silberhaarigen Herrn mit gepflegtem, grauem Bart und runder Brille. Das silberne Haar war das Werk der Abteilung »Identitäten«. Der graue Bart war bedauerlicherweise sein eigener.
»Wer ist Natan Golani?«
»Ein mittlerer Beamter im Kulturministerium. Seine Aufgabe ist der kulturelle Brückenbau zwischen Israel und dem Rest der Welt: Frieden durch Kunst, Tanz, Musik
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