Das Moskau-Komplott
Weißburgunder fließe.
Das Essen dauerte drei Stunden und fünfzehn Minuten und somit etwas länger als gewöhnlich, denn es war Juni, und der Juni war für alle Beteiligten eine Sauregurkenzeit. Am Ende hatten sie vier Flaschen Sancerre, vier Flaschen provenzalischen Rose und weitere drei Flaschen eines ausgezeichneten Montrachet gepichelt. Die Rechnung verursachte, als sie denn endlich kam, eine gewisse Aufregung, aber auch das gehörte zum Ritual des Clubs. Nach Schätzung der Beobachter im Restaurant belief sich die Zeche auf »um die fünfzehnhundert Pfund«, die mithilfe eines herumgehenden Tellers eingesammelt wurden, wobei Oliver Dimbleby, das korpulenteste Mitglied, die Peitsche schwang. Jeremy Crabbe war wie immer knapp bei Kasse und bekam von Julian Isherwood einen Überbrückungskredit bewilligt. Alistair Leach warf ein paar Hundert Pfund in den Teller, als er an ihm vorbeiwanderte, und trank sein letztes Glas Wein aus. Die Beobachter berichteten später, er habe wie ein Mann ausgesehen, der ahnt, dass seine Welt im Begriff sei, sich zu verändern, und das nicht unbedingt zum Besseren.
Sie standen draußen auf der Duke Street noch kurz beisammen, ehe sie sich trennten. Alistair Leach verweilte noch einen Augenblick mit Julian, drehte sich dann um und machte sich auf den Weg zurück zu Christie's. Er sollte nur bis zur Ecke Duke Street und King Street kommen, denn diese Stelle hatte Graham Seymour für die Kontaktaufnahme auserkoren. Diesen Teil übernahm ein junger Agent namens Nigel Whitcombe, der das Gesicht eines Pfarrers und den Handschlag eines Hufschmieds hatte. Leach leistete nur symbolischen Widerstand, als er am Ellbogen gefasst und zu einem wartenden Rover des MI5 geführt wurde.
»Würden Sie mir sagen, worum es eigentlich geht?«, fragte er kleinlaut, als der Wagen losfuhr.
»Ich würde Ihnen gern mehr sagen, Alistair, aber leider bin ich nur der Kurier.«
»Wir fahren doch nicht weit, oder? Sie haben mich nämlich in einem heiklen Moment erwischt. Etwas zu viel Wein zum Lunch. Dieser verfluchte Oliver Dimbleby. Macht immer Ärger. War schon immer so und wird immer so bleiben. Den sollten Sie sich holen.«
»Vielleicht ein andermal.« Whitcombes Lächeln war wie Balsam. »Versuchen Sie, sich zu beruhigen, Alistair. Wir wollen Ihnen keine Schwierigkeiten machen. Wir wollen nur, dass Sie uns Ihre Beziehungen und Ihren Sachverstand zur Verfügung stellen.«
»Und wie lange wird das dauern?«
»Das dürfte ganz von Ihnen abhängen.«
»Ich muss Abigail anrufen, wenn es zu spät wird. Sie macht sich nämlich immer solche Sorgen.«
Ja, dachte Whitcombe.
Wir wissen über Abigail Bescheid.
Sie hatten darüber diskutiert, wo sie ihn als Nächstes hinbringen sollten. Graham Seymour hatte das offizielle und Respekt einflößende Thames House vorgeschlagen, doch Gabriel, der als Außendienstler eine Abneigung gegen alle Geheimdienstzentralen hatte, hatte mit Erfolg für einen gemütlicheren und weniger förmlichen Rahmen plädiert. Und so kam es, dass Alistair Leach zwanzig Minuten, nachdem man ihn von der King Street gepflückt hatte, in das Wohnzimmer eines eilends gemieteten Hinterhauses unweit des Sloane Square geführt wurde. Es war ein wohnlicher Raum mit guten Büchern im Regal und gutem Whisky auf dem Servierwagen. Die Jalousien waren leicht geöffnet, und das weiche, durch die Schlitze dringende Licht des Spätnachmittags warf ein Streifenmuster auf den Holzfußboden. Graham Seymour ging langsam auf und ab, um seine englischen Maße, sein gutes englisches Aussehen und seinen tadellos geschneiderten englischen Anzug besser zur Geltung zu bringen. Gabriel, der noch nicht eingeladen war, dem Verfahren beizuwohnen, saß im Schlafzimmer eine Treppe höher vor einem Bildschirm. Zwei Ml5-Techniker leisteten ihm Gesellschaft. Der eine hieß Marlowe und der andere Mapes. Intern waren sie besser bekannt als M&M Audio und Video.
Whitcombe forderte Leach auf, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und setzte sich neben ihn. Auf dem Couchtisch lag ein einzelnes Blatt Papier. Graham Seymour zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und hielt ihn Leach hin wie eine geladene Waffe.
»Seien Sie so gut und unterschreiben Sie mir das. Es ist eine Kopie des Gesetzes über die Wahrung von Staatsgeheimnissen. Sie können sich die Mühe sparen, es zu lesen, denn der genaue Wortlaut ist nicht so furchtbar wichtig. Wichtig ist nur, dass das Papier uns das Recht gibt, Sie in den Tower zu sperren und Ihnen den Kopf
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