Das Moskau-Komplott
Nadelstreifenanzug, einen Burberry-Regenmantel und Manschettenknöpfe, so groß wie Schilling-Stücke. Sein Haar, ehemals blond, hatte jetzt einen zinnfarbenen Ton. Er sah damit aus wie ein Model aus einer Zeitschriftenanzeige für guten Cognac oder ein Schauspieler in einer Seifenoper, Typ älterer Millionär, der sich mit Vorliebe mit jüngeren Frauen einlässt.
Graham Seymour hatte nicht die Zeit, Frauen nachzustellen. Als stellvertretender Direktor des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 hatte er auf seinem Schreibtisch mehr als genug Arbeit, die ihn auf Trab hielt. Sein Land war jetzt die Heimat mehrerer Tausend islamischer Extremisten, die bekanntermaßen Verbindungen zu Terroristen unterhielten. Und als wäre das noch nicht genug, hatten die russischen Spionageaktivitäten in London neuerdings wieder Ausmaße angenommen wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Zu diesen Aktivitäten zählte auch der Mord an Alexander Litwinenko, dem ehemaligen FSB-Agenten und Kreml-Kritiker, der im Jahr 2006 mit einer Dosis hochradioaktivem Polonium 210 vergiftet worden war, ein terroristischer Anschlag mit radioaktivem Material, begangen vom FSB im Herzen der britischen Hauptstadt.
Seymour musste kurz vor Gabriel eingetroffen sein, denn auf den Schultern seines Mantels perlten noch Regentropfen. Er warf den Mantel müde über einen Stuhlrücken und streckte Gabriel die Hand entgegen. Mit der Handfläche nach oben.
»Nicht schon wieder, Graham.«
»Her damit.«
Gabriel atmete geräuschvoll aus und reichte ihm seinen Pass. Seymour schlug ihn auf und runzelte die Stirn.
»Martin Stonehill. Geburtsort: Hamburg, Deutschland.«
»Ich bin eingebürgerter amerikanischer Staatsbürger.«
»Daher der Akzent.« Seymour gab ihm den Pass zurück. »Ist das ein Geschenk Ihres Freundes, des Präsidenten, oder das Werk Ihrer kleinen Fälscherbande am King Saul Boulevard?«
»Adrian war so freundlich, ihn mir zu leihen. Das Reisen ist heutzutage schon beschwerlich genug, auch ohne einen israelischen Pass auf den Namen Gabriel Allon.« Er schob den Pass in die Jackentasche zurück und sah sich im Zimmer um. »Halten Sie alle Ihre hochrangigen Verbindungstreffen hier ab, Graham, oder ist dieser Palast nur für Ihre israelischen Gäste reserviert?«
»Regen Sie sich nicht künstlich auf, Gabriel. Leider konnten wir so kurzfristig nichts anderes finden. Im Übrigen wollten Sie ja partout nicht ins Thames House kommen. «
Das Thames House war der Hauptsitz des MI 5 am Themseufer nahe der Lambeth Bridge.
»Wirklich hübsch, wie Sie die Wohnung hergerichtet haben, Graham.«
»Sie gehört uns schon seit Jahren. Wir benutzen sie hauptsächlich als provisorische Unterkunft und für Besprechungen mit Quellen und Penetrationsagenten.«
»Was für Penetrationsagenten?«
»Die, die wir in potenzielle terroristische Zellen einschleusen.«
»In dem Fall überrascht es mich, dass Sie mich noch in Ihren vollen Terminkalender einschieben konnten.«
»Ich bezweifle, dass es sich lohnen wird.«
»Hat einer Ihrer Informanten Gerüchte über russische Waffen aufgeschnappt, die hierher unterwegs sind?«
»Gestern Abend nach dem Gespräch mit Adrian habe ich den Leuten vom Joint Terrorism Analysis Centre dieselbe Frage gestellt. Die Amerikaner sind nicht die Einzigen, denen das Gerede über die Pfeile Allahs zu Ohren gekommen ist. Auch wir haben Hinweise darauf abgefangen.«
In der Kochnische begann ein elektrischer Teekessel Dampf zu spucken. Gabriel trat ans Fenster und schaute einem vorbeifahrenden Zug nach, während Seymour sich um den Tee kümmerte. Er kehrte mit zwei Tassen zurück, für Gabriel ohne alles, für sich mit Milch und Zucker. »Bedauerlicherweise haben es unsere Leute versäumt, den Speiseschrank mit Vollkornkeksen zu bestücken«, sagte er verdrießlich. »Schlimm genug, dass sie statt frischer Milch haltbare gekauft haben, aber dass sie keine Packung Mc-Vitie's dagelassen haben, ist ein Kündigungsgrund.«
»Ich kann schnell zum Laden nebenan laufen, wenn Sie möchten, Graham.«
»Ich werd's überleben.« Seymour ließ sich zögernd auf dem Sofa nieder und stellte seine Tasse auf den zerkratzten Couchtisch. »Adrian hat mir das Wichtigste, das Sie in Moskau in Erfahrung gebracht haben, berichtet. Wie wär's, wenn Sie mich jetzt über den Rest informieren?«
Gabriel erzählte Seymour alles, angefangen von dem Mord an Boris Ostrowskij in Rom bis zu seiner Vernehmung und seiner Abschiebung aus Russland. Seymour,
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