Das Moskau-Komplott
und durchblätterte. »Wer ist es, Alistair? Und versuchen Sie nicht, mir etwas von einer Schweigepflicht im Interesse Ihres Kunden zu erzählen.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte Leach stur. »Der Besitzer möchte anonym bleiben.«
Nigel Whitcombe legte die Fingerspitzen zusammen und drückte sie nachdenklich an die Lippen, als sinne er darüber nach, ob Leachs Weigerung moralisch gerechtfertigt sei.
»Und wenn der Besitzer wüsste, was auf dem Spiel steht? Ich könnte mir vorstellen, dass es ihm - oder ist es eine sie? - eine Freude wäre, uns zu helfen. Ich könnte mir vorstellen, dass der Besitzer ein Patriot ist, Alistair.« Eine Pause. »Genau wie Sie.«
Der offizielle Mitschnitt des Gesprächs lieferte später nicht den kleinsten Hinweis darauf, was als Nächstes geschah, denn es gab kein Geräusch, das die Mikrofone hätten einfangen können. Whitcombe legte Leach nur sanft die Hand auf die Schulter, als bitte er ihn, sein verlorenes Vertrauen wiederzufinden.
»Boothby«, sagte Leach, als sei ihm der Name urplötzlich wieder eingefallen. »Sir John Boothby. Er lebt in einem Herrenhaus aus der Zeit Edwards VII. auf ein paar Hundert Morgen Land in den Cotswolds. Er hat sein Leben lang nie gearbeitet, soweit ich weiß. Sein Vater war bei Ihrem Verein. Er soll im Krieg seine große Zeit gehabt haben.«
Seymour drehte den Kopf herum. »Sie meinen doch nicht etwa Basil Boothby?«
»Genau den. Ein skrupelloser Hund, was man so hört.«
»Basil Boothby ist eine Geheimdienstlegende. Er war maßgeblich an unserem großen Täuschungsmanöver im Zweiten Weltkrieg beteiligt. Er hat verhaftete deutsche Spione zu ihren Führungsoffizieren nach Berlin zurückgeschickt. Ja, er war ein skrupelloser Hund. Aber es gibt Zeiten, in denen man das sein muss. Und jetzt ist eine solche Zeit, Alistair.«
»Ich frage mich«, sagte Gabriel, »ob Sir John nicht vielleicht doch noch seine Meinung ändert. Ich frage mich, ob es nicht an der Zeit ist, einen letzten Versuch bei ihm zu wagen.«
»Er wird das Gemälde nicht verkaufen, jedenfalls nicht an Elena Charkowa.« »Warum nicht?«
»Weil mir in einem Moment beruflicher Indiskretion wohl herausgerutscht ist, dass die Kaufinteressentin die Ehefrau eines russischen Oligarchen ist. Boothbys Vater hat sich in seinen letzten Dienstjahren mit KGB-Spionen herumgeschlagen. Der alte Herr war auf die Russen nicht gut zu sprechen. Und sein Sohn ist es auch nicht.«
»Klingt für mich nach einem Patrioten«, sagte Graham Seymour.
»Ich kenne ein Wort, das besser zu ihm passt«, brummte Leach. »Elena Charkowa hätte einen erstklassigen Preis für das Gemälde bezahlt. Zwei Millionen Pfund, wenn nicht noch mehr. Er hätte gut daran getan, das Angebot anzunehmen. Nach allem, was man so hört, schwimmt Sir John momentan nicht gerade im Geld.«
»Vielleicht können wir ihm dabei helfen, seinen Fehler einzusehen.«
»Viel Glück dabei. Aber denken Sie daran: Wenn dieser Cassatt den Besitzer wechselt, bekomme ich meine Provision.«
»Wie viel bekommen Sie derzeit, Alistair?«, fragte Gabriel.
Leach grinste. »Sie haben Ihre Geheimnisse, Signor Delvecchio. Und ich habe meine.«
31 Gloucestershire, England
Havermore, das Stammhaus der Familie Boothby, lag fünf Meilen nordwestlich des Marktfleckens Chipping Camden in den malerischen Cotswold Hills. In seinen besten Zeiten hatte das Landgut über achthundert Morgen welliges Weideland und bewaldete Hügel umfasst und mehreren Dutzend Männern und Frauen aus den umliegenden Dörfern Arbeit gegeben. Doch in den letzten Jahren war sein Reichtum ebenso geschrumpft wie die Familie, der es gehörte. Bis auf einhundert Morgen war alles verkauft, und das Herrenhaus, ein monströser Kasten aus honigfarbenem Kalkstein, war in einen recht bedenklichen Zustand der Baufälligkeit geraten. Was schließlich das Personal anging, so bestand es nur noch aus einem einzigen Landarbeiter namens George Merrywood und einer pummeligen Haushälterin, die Lillian Devlin hieß.
Sie war es auch, die am frühen Nachmittag des folgenden Tages Gabriel und Graham Seymour empfing und ihnen eröffnete, dass Sir John sie schon ungeduldig erwarte. Sie fanden ihn auf einer verwilderten Wiese, die East Meadow genannt wurde. Er stand vor einer Staffelei und malte, wild mit den Armen rudernd, an einem grässlichen Landschaftsbild. Boothby und Graham Seymour schüttelten sich herzlich die Hände und betrachteten einander einen Augenblick lang schweigend. Sie
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