Das Moskau-Komplott
dass sein Prachtpalast am Meer der Lohn für sein unternehmerisches Geschick und harte Arbeit sei. In Wirklichkeit war alles durch Korruption und mithilfe der alten Genossen erworben worden. Und an allem klebte Blut. In manchen Nächten sah sie das Blut im Traum. Es floss in Strömen durch die endlosen Marmorgänge und stürzte wie ein Wasserfall die großen Treppen hinunter. Das Blut, das Menschen mithilfe von Iwans Waffen vergossen hatten. Das Blut von Kindern, die gezwungen wurden, in Iwans Kriegen zu kämpfen.
Anna kam zurück, auf den Händen unsicher ein Frühstückstablett balancierend. Sie stellte es neben Elena aufs Bett und deutete vergnügt auf die Sachen darauf: eine große Schale Cafe au lait, zwei Scheiben getoastetes Baguette, Butter, frische Erdbeermarmelade, die
Financial Times
und die
Herald Tribune.
Dann gab sie Elena einen Kuss auf die Wange und ging. In der Hoffnung, dass das Koffein ihre Kopfschmerzen vertreiben würde, trank Elena hastig die Hälfte des Kaffees und verschlang die erste Scheibe Brot. Aus irgendeinem Grund hatte sie ungewöhnlich großen Hunger. Nach einem Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch wusste sie auch, warum. Es war fast Mittag.
Langsam trank sie den restlichen Kaffee aus. Ihre Kopfschmerzen ließen peu á peu nach, und sie sah wieder klarer. Sie dachte an die Frau, die sie als Sarah Crawford kannte. Und an Michail. Und an den Mann, der eine so schöne Fälschung von Mary Cassatts
Zwei Kinder am Strand
gemalt hatte. Sie wusste nicht genau, wer sie waren. Sie wusste nur, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als mit ihnen zusammenzuarbeiten. Für die Unschuldigen, die sterben könnten, sagte sie sich jetzt. Für Russland. Für sich selbst.
Für die Kinder...
Wieder bauschte der Wind die langen Vorhänge. Diesmal trug er die Stimme Iwans zu ihr herauf. Sie wickelte sich in ihren Morgenmantel aus Seide und trat hinaus auf die Terrasse mit Blick auf den Swimmingpool und das Meer. Iwan beaufsichtigte die Hausmeister bei der Beseitigung der Unwetterschäden und bellte Befehle wie ein Aufseher im Strafgefangenenlager. Sie schlüpfte wieder hinein, bevor er sie bemerkte, und eilte in das große, sonnige Zimmer, das er im Obergeschoss als Büro nutzte. Zwar blieben die Regeln ihrer Ehe weitgehend unausgesprochen, doch war dieser Raum, wie alle Arbeitszimmer Iwans, für Elena und die Kinder tabu. Offensichtlich war er am Vormittag schon hier gewesen, wie ihr der Rasierwassergeruch in der Luft und die Schlagzeilen der Moskauer Morgenpresse verrieten, die über den Bildschirm des Computers wanderten. Zwei identische Handys lagen auf der Schreibunterlage aus Leder, und ihre Kontrollleuchten blinkten. Unter Verletzung aller ehelichen Regeln, ausgesprochener wie unausgesprochener, nahm sie eines der Telefone und klickte sich in das Verzeichnis der zehn zuletzt gewählten Nummern. Eine Nummer erschien dreimal:
3064006.
Mit einem weiteren Tastendruck wählte sie die Nummer. Zehn Sekunden später meldete sich eine weibliche Stimme auf Französisch. »Hotel Carlton, guten Morgen. Mit wem darf ich Sie verbinden?«
»Jekatarina Masurowa.«
»Einen Moment, bitte.«
Dann, nach dem zweiten Klingeln, eine andere weibliche Stimme. Sie war jünger als die erste und sprach russisch statt französisch.
»Iwan, Liebling, bist du's? Ich dachte schon, du würdest nie anrufen. Kann ich dich auf den Ausflug begleiten, oder wird Elena mitkommen ? Iwan... Was ist denn ...so sag doch was, Iwan...«
Elena unterbrach die Verbindung. Im nächsten Moment ertönte hinter ihr eine andere Stimme, eine männliche, und sie sagte mit verhaltener Wut auf Russisch:
»Was tust du hier drin?«
Sie wirbelte, das Handy noch in der Hand, herum. Iwan stand in der Tür.
»Ich habe meiner Mutter versprochen, dass ich sie heute Morgen anrufe.«
Er trat auf sie zu und riss ihr das Handy aus der Hand, dann fasste er in die Hosentasche und zog ein anderes hervor. »Nimm das hier«, befahl er ihr ohne weitere Erklärung.
»Was macht es denn für einen Unterschied, welches Handy ich nehme?«
Ohne auf ihre Frage einzugehen, suchte er mit den Augen den Schreibtisch ab, um festzustellen, ob sie noch etwas angefasst hatte. »Du hast lange geschlafen«, sagte er, als weise er auf einen Umstand hin, den Elena nicht berücksichtigt hatte. »Ich weiß nicht, wie du bei einem solchen Gewitter schlafen kannst.«
»Ich habe mich nicht gut gefühlt.«
»Du siehst gut aus heute Morgen.«
»Es geht mir auch wieder etwas besser,
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