Das Moskau-Komplott
dem Wagen stieg, hängte sie sich die Tasche über die linke Schulter, wie ihr aufgetragen worden war. Rechte Schulter bedeutete, dass sie es sich anders überlegt hatte. Linke Schulter bedeutete, dass sie bereit war, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Sie betrat die Place Carnot von der Südostecke her und tauchte, Oleg und Gennadij ein paar Schritte hinter sich, in den belebten Markt ein. In der Ecke mit den Kleiderständen kaufte sie zwei zusammenpassende Kaschmirpullover für Iwan und Nikolaj und ein Paar Sandalen für Anna als Ersatz für die, die sie bei ihrem Besuch am Strand von Pampelonne vergessen hatte. Die Tüten gab sie Oleg, dann ging sie weiter zu den Lebensmittelständen in der Mitte des Platzes, wo sie stehen blieb und einem mürrisch dreinblickenden Mann zusah, der in der größten Pfanne, die sie je gesehen hatte, Ratatouille zubereitete. Eine junge Frau mit dunklem Haar erschien kurz an ihrer Seite, murmelte ein paar Worte auf Englisch und verschwand sofort wieder in der Menge.
Elena kaufte ein halbes Kilo Ratatouille und reichte es Gennadij, dann ging sie schräg über den Platz in Richtung Boulevard Louis Blanc. Ein hellrotes Audi-Cabrio parkte an der Ecke. Aus seiner Stereoanlage plärrte grässliche amerikanische Musik, und am Steuer saß, das Gesicht der Sonne zugewandt, Michail. Elena warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz und stieg schnell ein. Als der Wagen davonbrauste, blickte sie stur geradeaus. Hätte sie nach hinten geschaut, hätte sie gesehen, wie Oleg mit hochrotem Kopf in sein Handy brüllte. Und wie Gennadij, der Jüngere von beiden, hinter ihnen herrannte, das Ratatouille noch in der Hand.
42 Saint-Tropez, Frankreich
»Wer sind Sie?«
»Michael Danilow. Sarahs Freund aus Washington. Ihr Mann nennt mich Michail. Sie können mich auch Michail nennen.«
»Ich möchte wissen, wie Sie richtig heißen.« »Das ist mein richtiger Name.« »Wo arbeiten Sie?«
»Sie wissen doch, wo ich arbeite. Ich arbeite mit Sarah im Dillard Center for Democracy.«
»Wo bringen Sie mich hin?«
»An einen Ort, wo wir ungestört sind.«
»Wir haben nicht viel Zeit. Sie können sich darauf verlassen, dass Iwan bereits nach uns sucht.«
»Versuchen Sie, nicht an Iwan zu denken. Jetzt gibt es nur uns beide.«
»Die Leibwächter haben Sie gesehen. Sie werden Iwan sagen, dass Sie es waren, und Iwan wird nicht ruhen, bis Sie tot sind.«
»Ihr Mann wird mich nicht umbringen, Elena.« »Sie kennen meinen Mann nicht. Er bringt ständig Menschen um.«
»Ich kenne Ihren Mann sehr gut. Und er tötet niemals aus Liebe. Nur wegen Geld.«
43 Massif des Maures, Frankreich
Sie fuhren auf einer gewundenen Straße landeinwärts, hinauf in das Bergland des Massif des Maures. Er fuhr sehr schnell, aber ohne sichtbare Nervosität oder Anspannung. Seine linke Hand lag lässig auf dem Lenkrad, während seine rechte flüssig und geschmeidig den Schaltknüppel bewegte. Er war kein Computertechniker, dachte Elena bei sich. Sie hatte genug Zeit in der Gesellschaft von Elitesoldaten verbracht, um zu merken, wenn sie einen vor sich hatte. Sie fand darin Trost. Sie begriff, dass sie einfach eine Gruppe von Leibwächtern gegen eine andere ausgetauscht hatte.
Mit jedem Kilometer wurde die Landschaft schroffer. Zu ihrer Rechten erstreckte sich ein dichter Pinien- und Eukalyptuswald, zu ihrer Linken eine bodenlose grüne Schlucht. Sie kamen durch Dörfer, deren Namen sie noch nie gehört hatte. Und sie dachte, wie schrecklich, dass sie noch nie hier gewesen war. Und sie schwor sich, eines Tages, wenn dies alles vorüber war, mit den Kindern zum Picknick hierherzukommen, ohne ihre Leibwächter.
Die Kinder...
Es war ein Fehler, jetzt an sie zu denken. Am liebsten hätte sie Sonja angerufen, um sich zu vergewissern, dass es ihnen gut ging. Am liebsten hätte sie diesen Mann, der sich Michail nannte, angeschrien, er solle sofort umdrehen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Wind in ihrem Haar und die warme Sonne auf ihrer Haut. Eine verheiratete Frau, die im Begriff war, sich einem anderen Mann hinzugeben, löschte nicht das Feuer sexueller Vorfreude, indem sie ihre Kinder anrief. Sie dachte nur an den Augenblick und pfiff auf die Konsequenzen.
Sie kamen wieder in ein Dorf, das nur aus einer einzigen, von Platanen beschatteten Straße bestand. Vor einer Bar-Tabac saß ein Mädchen mit Rubensfigur rittlings auf einem burgunderroten Motorroller, das Gesicht unter einem Helm mit dunklem Visier verborgen. Sie
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