Das Moskau-Spiel
Maulwurf in der Botschaft oder im Auswärtigen Amt. Blitzschnell hatte er sich diese Erklärungen zurechtgelegt. Ob sie stimmten, nun, das würde er sehen.
Gebold drehte sich weg und ging zur Tür. Henri folgte ihm und überlegte sich, ob er es dem Schnösel irgendwann heimzahlen sollte. Gut, Henri musste sich erst einarbeiten. Was er nicht wusste, konnte er nicht verraten. Und doch hätte Gebold wenigstens ankündigen können, er werde Henri später all das sagen, was er ihm sagen durfte. Wahrscheinlich wollte Gebold seine Macht oder die Einbildung davon nicht verlieren, die er in dem Maß einbüßen würde, wie er seine Geheimnisse preisgab. Henri befriedigte es, dass er wusste, wie wenig siein Pullach von Gebold hielten. Oben, im Gang, in dem sein Büro lag, war er wieder guter Dinge. Den miesen Einstieg würde er überstehen und Gebold sowieso. Nur ein paar Monate, es gab Schlimmeres.
Seine Laune stieg schlagartig weiter, als Angela aus der Nebentür seines neuen Büros herausschaute, während er den Flur entlanglief. »Ah, mein neuer Nachbar, der große Analyst des Sowjetimperiums, der Experte für Politbüro und KGB , welch Ehre.«
»Ich hoffe, Sie hören keine laute Musik«, grinste Henri. Und dachte, so falsch seien diese Titulierungen gar nicht. Er hatte sich gut präpariert für Moskau, und er kannte die Verästelungen des sowjetischen Herrschaftsapparats aus der Fachliteratur. Henri war gründlich, in allen Fragen des Lebens.
»Russische Kirchenmusik, um mich gegen die Versuchung des Marxismus-Leninismus zu wappnen. Je lauter, desto besser.«
»Na, wenn das die einzige Versuchung ist, schenk ich Ihnen Kopfhörer.«
Sie lachte. Sie hatte ein wunderbares Lachen, natürlich, überhaupt nicht affektiert.
Er winkte ihr mit einem Zeigefinger zu und folgte Gebold ins Nebenzimmer, Henris neues Büro. Furnierte Möbel: Schreibtisch, Ecktisch, Stehlampe mit einem braunen Schirm und kleinen Goldtroddeln am unteren Rand, ein Regal, dann ein Schreibtischstuhl, zwei Stühle mit Stahlrohrrahmen in der Ecke, auf dem Fensterbrett eine leere Vase und an der Wand gegenüber dem Schreibtisch ein rechteckiger Fleck in der Patina der Tapete, wo früher ein Bild gehangen haben musste. Schräg hinter dem Schreibtisch war der unvermeidliche Safe in die Wand eingelassen. Das Zimmer stank erbärmlich nach Rauch, den die Tapeten und der graue Teppich ausdünsteten.
Henri hielt sich die Nase zu. »Wer war denn hier drin?«
»Schmitt«, sagte Gebold. »Der hat gepafft wie ein Irrer. Wir haben es ausgehalten, bis er endlich in den Ruhestand ging.«
»Und ich hab den Salat«, sagte Henri. Er spürte innerlich, dass es wieder eine Kraftprobe war, eine alberne, aber es war eine. »Ich werde in dieses Zimmer nicht einziehen, bis es nicht renoviert ist. Das hätte man übrigens machen können, bevor ich kam.«
Gebold setzte sich auf einen Stahlrohrstuhl, hatte plötzlich wieder zwei Streichhölzer in der Hand und tat so, als ließe ihn alles kalt. »Wir müssen sparen«, sagte Gebold. »Anweisung von oben.«
»Nichts dagegen, dass Sie sparen«, sagte Henri scharf. Er musste dem Mann eine Grenze setzen, das war zu unverschämt. »Wer ist für die Renovierung zuständig? Oder muss ich da direkt mit dem Botschafter sprechen?« Nun sprach er scharf.
Gebold starrte Henri an und schluckte fast unmerklich. Die plötzliche Attacke auf dem Nebenkriegsschauplatz überraschte ihn. Gerade hatte er noch gedacht, dass er den Neuen schon im Griff habe. Eine leichte Übung. Und nun das! »Wenden Sie sich an Herrn Bader von der Verwaltung.« Er sagte es mit kühler Stimme, stand auf und ging zur Tür, wandte sich im Türrahmen aber noch einmal zu Henri: »Ach ja, heute Abend, sieben Uhr, gibt’s einen Empfang für Krupp-Leute. Ich hole Sie in Ihrer Wohnung ab.«
Bevor Henri antworten konnte, war Gebold verschwunden. Und wo war diese verdammte Wohnung?
Henri setzte sich hinter den Schreibtisch, öffnete die Schubladen, fand aber nichts. Immerhin war der Schreibtisch gründlich ausgeräumt worden. Dann wanderten seine Augen über die Wände, als könnten sie verborgene Mikrofone entdecken. Er war versucht, die Schreibtischlampe und die Stehlampe zu untersuchen, aber das er schien ihm dann doch albern. Natürlich hatte das KGB die Botschaft längst wieder verwanzt, nachdem Experten aus Pullach den Herbstputz gemacht hatten. Die Frage war nur, welche Räume es abhörte. Und es gab sowjetisches Personal in der Botschaft, Reinemachefrauen vor
Weitere Kostenlose Bücher