Das Moskau-Spiel
nickte. »Das sind diese Greiftrupps.« Er zuckte mit den Achseln, was so viel hieß wie: Sie wissen ja, wie die sind, und ich kann es nicht ändern.
Henri grinste.
»Wo Sie wollen, wann Sie wollen, aber bald.«
»Es kostet Sie den Kopf«, sagte Henri.
»Erstens ist es mein Kopf, zweitens gibt es schlechtere Verwendungen dafür, und drittens kann ich gut auf mich aufpassen. Ich werde Sie als Doppelagenten führen.« Eblow lachte. Sie standen wieder vor dem Haupteingang des Friedhofs, dessen Wege sie alle abgegangen waren, und manche nicht nur einmal. Dabei hatte Eblow mit einigem Stolz auf weitere Größen der russischen Geschichte gezeigt, die hier beerdigt waren, als konzentrierte sich auf diesem Friedhof das Große und Unvergängliche Russlands. Dichter, Musiker, Schauspielerinnen, Balletttänzerinnen, Politiker, Soldaten, Kosmonauten und in den Urnenwänden Unzählige, die ihr Leben für die Heimat geopfert hatten. Russland ist groß und tief und die meiste Zeit geplagt. »Unser Schicksal ist das Leiden«, hatte Eblow leise gesagt, als hätte er Angst vor dem Pathos. »Jedes Land hat seine Toten, aber lesen Sie die Todesdaten, betrachten Sie die Grabsteine, schauen Sie auf die Blumen auf den Gräbern, sogar im Winter, und Sie werden mir glauben.«
Er will mich als Doppelagent führen, und selbst wennes nur der Tarnung dient, ist es gefährlich. Alles in ihm widerstrebte dieser Idee.
Ein Wolga rollte auf dem Parkplatz neben dem Eingang aus. Der Motor blubberte noch einmal und erstarb dann. Drinnen saßen zwei Männer, die sich kurz unterhielten und dann ausstiegen. Beide mit schwarzem Hut, schwarzem Mantel mit Pelzbesatz, wie Zwillinge. Eblow beachtete sie nicht, während Henri einen Augenblick fürchtete, die beiden würden auf sie zukommen. Doch sie zuckelten im Schlenderschritt in Richtung Friedhof.
»Das ist ein gefährliches Spiel«, sagte Henri.
Eblow musterte ihn. »Es geht nicht darum, ob es gefährlich ist. Sondern ob es richtig ist.«
Die beiden Männer mit den Hüten bogen in einen Weg in Richtung der Urnenwände ab.
»Was ich noch nicht verstehe, ist, was Sie eigentlich von mir wollen.«
Eblow überlegte, dann lächelte er. »Ich will, dass Sie mich als Doppelagenten führen, so, wie ich es mit Ihnen tun werde. Zwei Maulwürfe, friedlich vereint. Sie sind doch Tierfreund.«
Da musste Henri laut lachen. »Wissen Sie, wie er heißt?«
»Der Kater?«
»Woher wissen Sie, dass es ein Kater ist?«
»Wir haben das natürlich geprüft.« Eblow grinste.
Henri musste wieder lachen. »Klar, Sie prüfen ja alles. Ein richtiger Spitzelstaat, Ihre große Sowjetunion.«
»Glücklicherweise«, lachte der Major. »Und wie heißt er?«
»Towaritsch, sein Dienstgrad ist Leutnant, aber er ist sehr ehrgeizig«, sagte Henri.
Eblow pfiff leise vor sich hin. »Das ist gut«, sagte er. »Russische Katzen essen übrigens am liebsten Fisch.«
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Noch am Abend begann Theo zu lesen, mal in diesem, mal in jenem Buch. Es war genau die richtige Methode, seine Kenntnisse aufzufrischen über die Zeit der Finsternis, wie er sie bald nannte. Am frühen Morgen hatte er eine Flasche Mineralwasser geleert und einiges begriffen. Was er nicht begriff, war Paula.
Sie hatten sich angeregt unterhalten. Manchmal, sie war impulsiv, hatte sie ihm die Hand auf den Unterarm gelegt, um etwas zu bekräftigen. Das war ihm besser in Erinnerung geblieben als das, was sie geredet hatten. Über ihre Arbeit im Buchkaufhaus, eher lustige Anekdoten über Kollegen und Vorgesetzte. Fragen nach ihrer Familie aber beantwortete sie nicht. So fand er nur noch heraus, dass sie Fußballfan war, sogar hin und wieder Heimspiele von 1860 besuchte, aber nur wenn die Gegner interessant waren.
Als er sich verabschiedet hatte, verdammte er seine Feigheit, sie nicht gefragt zu haben, ob sie mit zu ihm komme. Doch immerhin hatte sie ihm ihre Telefonnummern in der Buchhandlung – »nur wenn es wichtig ist, und du musst tun, als hättest du bei mir was bestellt« – und zu Hause gegeben, auch die vom Handy. Und das macht man ja nicht, wenn man keinen Kontakt mehr wünscht. Und doch fürchtete er, sie könne sich zurückziehen von ihm, weil sie ihn für einen Waschlappen oder Langweiler oder beides halten musste. Das würde ihr bestimmt bald aufgehen. Aber dann zog ihn die Lektüre in ihren Bann, und als er einschlief, hatte er zwar ihr Bild im Kopf, aber auch die Gewissheit, dass die Sache in Moskau noch nicht beendet war.
Am Morgen fühlte er sich
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