Das Moskau-Spiel
gut. Der Entschluss, sich nicht verarschen zu lassen, hatte seine Stimmung genauso gehoben wie die unverhoffte Bekanntschaft mit Paula. Er frühstückte, las eher unaufmerksam die Süddeutsche und fand dann im Computer die Adresse des russischen Konsulats in München. Er druckte sie aus und legte sieauf den Küchentisch. Dann zog er aus dem Portemonnaie den Zettel mit Paulas Telefonnummern und rief im Buchkaufhaus an. Als eine Frauenstimme ertönte, tat er so, als müsste er eine ihrer Kolleginnen etwas zu einer bestimmten Bestellung fragen, ließ sich verbinden und hatte sie dann gleich am Apparat. »Wenn ich dich heute Abend zum Essen einladen dürfte …«
»Das ist ja nun eher nicht geschäftlich«, sagte sie, aber ihrer Stimme hörte er an, dass sie sich wenigstens nicht ärgerte über seinen Anruf. »Okay, mein Stalker«, sagte sie, »Nudeln essen, das wär mal was Neues. Gleiche Zeit, gleicher Ort, einverstanden?«
Natürlich war er einverstanden.
Wenn einen Außerirdische nach einer Entführung gnädigerweise dort aussetzen würden, man wüsste nicht, auf welchem Planeten man wäre, geschweige denn in welcher Stadt. Die Seidlstraße war eine dieser verwechselbaren Großstadtstraßen, mehrspurig mit Straßenbahngleisen, und sie führte entlang zwischen gesichtslosen Beton-Glas-Bauten mit Verwaltungen, Anwaltskanzleien und einem Biosupermarkt. In der Nummer 28 hatte das russische Konsulat seinen Sitz.
An der Fassade hing schlaff die weiß-blau-rote Trikolore. Theo sah die Kamera über der Tür. Hinter der Stahltür, die einer Festung gut angestanden hätte und die mit einem Summen signalisierte, dass sie sich aufdrücken ließ, erwartete Theo ein streng blickender Mann mittleren Alters. Er stand hinter einem Tresen, hatte peinlich genau gekämmte kurze schwarze Haare, war schlank und groß und sehr elegant in seinem offenbar maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug. Auf einem Flugplatz hätte man ihn für einen modebewussten Italiener oder Franzosen gehalten.
Theo fragte ihn nach der höflich-steifen Begrüßung, wie er als Tourist schnellstmöglich nach Moskau kommen könne. Er habe dort eine dringende persönlicheAngelegenheit zu klären, die sich bei seinem letzten Moskauaufenthalt ergeben habe. Dabei guckte er so wie der zu Tode betrübte Romeo auf der verzweifelten Suche nach Julia.
Der strenge Konsulatsbeamte verzog keine Miene, sondern nannte Theo den Namen und den Sitz eines Reisebüros Werner in Schwabing, neben der U-Bahn-Station Dietlindenstraße, das ihm gewiss in dieser Frage helfen könne.
Ein Anruf hätte es auch getan, dachte Theo, nachdem er wieder im Auto saß und sich durch den Verkehr in Richtung Schwabing wühlte. Er fand das Reisebüro schnell und sogar einen Parkplatz an der Straße, nur wenige Meter entfernt. Im Reisebüro drei Tische, dahinter junge Frauen, die Kunden berieten, in Prospekten blätterten, auf Computerbildschirmen suchten. Eine Blonde, am linken Tisch, telefonierte im Angesicht eines Ehepaars mit zwei zappligen Kindern recht lautstark, offenbar ging es um eine Hotelreservierung, eine große Brünette, in der Mitte, unterhielt sich leise mit einem älteren Paar, die dritte, am rechten Tisch, beschäftigte sich mit einem jungen Mann, südländischer Typ, lässig und teuer gekleidet. Sie schien am weitesten zu sein, der Typ saß nur noch mit der linken Gesäßbacke auf dem Stuhl, was Henri hoffen ließ, aber auch zweifeln, manche hielten es ja lange in dieser Stellung aus. Die Frau hatte ein Vollmondgesicht unter einer dunkelbraunen Kräuselfrisur, freundliche Augen und eine lebhafte Mimik. Es ging noch ein paar Mal hin und her, bis der Typ sich endlich einen schmalen Stapel griff und sich wortreich verabschiedete. Als er endlich abgezogen war, setzte sich Theo auf den Sessel, musste noch ein kurzes Telefonat abwarten, bis sie sich endlich ihm zuwandte, mit einem überaus freundlichen Lächeln als Entschädigung fürs Warten.
Er erklärte ihr, er müsse schnellstmöglich nach Moskau reisen. Nur einen Augenblick blickte sie ihn neugierig an, dann überlegte sie, stand schließlich auf und ging in ein Zimmer im Rücken, dessen Tür angelehnt war. Sie kam mit einer Klarsichtfolie und einigen Papieren zurück.
»Eine Einzelreise können Sie vergessen, das wäre ein erheblicher bürokratischer Aufwand. Das dauert. Aber ich habe eine Idee. Es gibt hier eine Gruppe, der könnten Sie sich anschließen. Zwei Wochen Moskau. Kostet eine Extragebühr fürs Visum wegen der Eile,
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