Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
sehen. Wir dürfen nicht länger warten. Ihr braucht beide andere Papiere – mit neuen Gesichtern und neuen Namen.«
Smith starrte ihn sprachlos an, wie vor den Kopf gestoßen von dem, was der Russe soeben gesagt hatte. Ihm schwante plötzlich etwas. Es war eher eine vage Vermutung als eine stichhaltige Erklärung, doch als weitere kleine Informationsschnipsel sich sauber ins Bild fügten, schien seine neue Theorie immer deutlichere und brillantere Formen anzunehmen – wie ein glimmendes Holzscheit, das vom Wind angefacht wird.
Er riss die Augen auf. »Namen«, sagte er brüsk. »Das ist die Verbindung, die wir nicht gesehen haben. Wir haben uns alle gefragt, warum so viele Menschen umgebracht wurden, um uns daran zu hindern, diese Notizen zu lesen. Aber vielleicht lag die Antwort die ganze Zeit offen vor uns.«
»Was genau wollen Sie denn damit sagen, Colonel«, fragte Fiona leise. Kirows Gesichtsausdruck spiegelte ähnliches Unverständnis.
Begeistert von seiner neuen Theorie führte Jon die beiden an den Couchtisch. »Namen«, sagte er wieder, indem er das Bündel maschinenbeschriebener Papiere und handschriftlicher Übersetzungen auffächerte. Mit einem Rotstift markierte er hastig bestimmte Abschnitte auf den Blättern. »Seht selbst. Das ist es, was Elenas Notizen enthalten … die Namen der ersten Opfer. Und ihrer Familien. Samt Anschrift. Richtig?«
Die anderen beiden nickten langsam, offensichtlich immer noch unsicher, worauf er hinauswollte.
»Passt auf«, sagte Smith. »Irgendwie und irgendwo muss es eine Verbindung zwischen den Verstorbenen und ihren Familien gegeben haben. Eine Verbindung, die uns besser verstehen lassen könnte, wie diese neue Krankheit sich ausbreitet und wo sie herkommt.«
Fiona krauste die Stirn. »Ich verstehe nicht, Colonel.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie haben doch bereits aufgezeigt, dass es keine erkennbare Verbindung zwischen diesen armen Menschen gibt – keine freundschaftlichen oder familiären Bande, nichts, was erklären
könnte, warum sie erkrankt sind und auf so grausame Weise starben.«
Smith nickte. »Das stimmt. Elena, Valentin Petrenko und den anderen russischen Wissenschaftlern, die sich mit dieser Krankheit befasst haben, ist es nie gelungen, eine Verbindung zwischen den vier Opfern zu finden.« Er klopfte auf die Notizen. »Doch was ist, wenn ihre Gemeinsamkeiten weniger offensichtlich sind, und es sich eher um ein genetisches oder ein anderes biochemisches Merkmal handelt – eine Schwäche oder eine Vorerkrankung, die sie für diese neue Krankheit besonders anfällig machte?«
»Glauben Sie wirklich, dass es möglich sein könnte, dieses gemeinsame Merkmal zu entdecken?«, fragte Kirow.
Smith nickte. »Ja, das glaube ich.« Er schaute dem Russen in die Augen. »Aber es wird nicht leicht sein. Zunächst müssen wir einen Weg finden, die Familien der Opfer zu befragen. Wenn wir sie dazu überreden können, uns Blut-, Gewebe- und DNA-Proben nehmen zu lassen, müsste eine Serie von Labortests es möglich machen, etwaige Übereinstimmungen zu lokalisieren.«
»Und das wollen Sie alles irgendwie anstellen, während Sie und Ms. Devin ganz oben auf der Fahndungsliste des Kreml stehen?«, fragte Kirow zynisch.
»Tja, so hatte ich mir das gedacht.« Auf Smiths schmalem Gesicht erschien ein gezwungenes Lächeln. »Gibt es da nicht einen Spruch? ›Wer keinen Spaß versteht, sollte nicht Soldat werden?‹ Oder so ähnlich. Tja, wir alle haben einen Vertrag unterschrieben und jetzt sollten wir zeigen, dass wir unser Geld wert sind.«
Berlin
Das Grunewald-Viertel, das in einem Wald rund um mehrere kleine, aber wunderschöne Seen gelegen ist, gehört zu Berlins feinsten und teuersten Stadtteilen. Die älteren Häuser liegen weit auseinander
und sind von tadellos gepflegten Gärten, Steinmauern, Hecken und Waldstrichen umgeben.
Auf der Hagenstraße, einer der breiteren Wohnstraßen im Grunewald, parkte ein kleiner, weißer Kastenwagen mit dem magentafarbenen Logo der Deutschen Telekom. Der Nachmittag war weit fortgeschritten und die blasse Wintersonne, die bereits tief am Horizont stand, warf lange schwarze Schatten über die Straße. Es war bitterkalt und nur sehr wenige Menschen hielten sich bei diesen frostigen Temperaturen draußen auf. Ein dicklicher Jogger, im Rhythmus der Musik gefangen, die aus seinen Kopfhörern dröhnte, schnaufte vor dem Wagen über die Straße und lief grimmig weiter, entschlossen, die vom Doktor verordnete Übung zu Ende zu
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