Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
bringen. Kurz darauf verschwand er in der zunehmenden Dunkelheit zwischen den Bäumen. Ein älteres Paar auf dem Nachmittagsspaziergang, das einen unglücklichen, bibbernden Terrier hinter sich her zog, zuckelte vorüber. Dann bog das Pärchen um die Ecke und die Straße war wieder menschenleer.
In der Führerkabine des Wagens saß Randi Russell auf das Lenkrad gestützt. Sie trug dünne Lederhandschuhe, eine schlichte schwarze Baseballkappe, die ihr raspelkurzes blondes Haar verbergen sollte, und einen tristen grauen Arbeitsoverall, der ihre schlanke Figur kaschierte. Ungeduldig blickte sie auf die Uhr. Wie lange würde sie noch warten müssen?
Als Randi auf ihre Handschuhe blickte, verzog sie den vollen Mund zu einem trockenen Grinsen. Wenn sie weiter untätig herumsaß, geriet sie sicher bald in Versuchung, das Leder anzuknabbern, um an ihre Fingernägel heranzukommen.
»Die Angestellten verlassen das Haus«, meldete eine junge Frauenstimme aus dem Headset unvermittelt. »Sieht so aus, als würden sie endlich für heute Schluss machen.«
Randi richtete sich auf und sah zu, wie ein alter, zerbeulter Audi langsam aus der nächsten Einfahrt glitt. Das illegal eingewanderte slowenische Pärchen, das Ulrich Kessler dafür bezahlte, sein
Haus zu putzen, zu kochen und den Garten in Ordnung zu halten, machte sich auf den Heimweg in seine vergammelte Wohnung auf der anderen Seite der Stadt. Der Audi bog nach links auf die Hagenstraße ein und fuhr an Randis Kastenwagen vorbei. Im Seitenspiegel folgten ihre Augen den Rücklichtern, bis sie verschwanden.
»Was ist mit Kessler?«, fragte sie leise in das Mikrofon, das an ihrem Overall befestigt war.
»Ist noch im Büro«, meldete eine andere Stimme, diesmal männlich und älter. Sie gehörte dem CIA-Offizier, der dazu abgestellt war, ein Auge auf das BKA-Gebäude zu haben, in dem Kessler arbeitete. »Doch er steht erwiesenermaßen auf der Gästeliste für eine große Party, die der Kanzler heute Abend in der Staatsbibliothek gibt. Laut Akte ist Kessler ein echter Arschkriecher. Daher wird er sich die Chance, mit der deutschen Politikerelite zu feiern, bestimmt nicht entgehen lassen. Zeit genug also für den Einstieg.«
»Bin schon unterwegs«, erwiderte Randi knapp. Nun, da sie endlich loslegen durfte, beruhigten ihre Nerven sich merklich. »Ich fahre jetzt aufs Grundstück.«
Unverzüglich warf sie den Kastenwagen an und bog auf die Einfahrt ein, die sich durch hohe Bäume zu Kesslers Villa schlängelte. Das im frühen 20. Jahrhundert erbaute Domizil war einem englischen Landhaus aus der Edwardianischen Zeit nachempfunden, von den leuchtend weißen, efeuberankten Mauern bis hin zur breiten Veranda, die sich über die gesamte Länge der ersten Etage erstreckte.
Randi fuhr neben das Haus und parkte vor einer großen Garage, die früher als Kutscherhaus und Stall gedient haben mochte. Sie stieg aus dem Wagen und blieb einen Augenblick still stehen, sah sich um und lauschte. Nichts rührte sich, weder im Haus noch draußen unter den Bäumen.
Beruhigt warf sie eine tarnfarbene Einsatzweste über ihren grauen Overall. Die mit Klettband verschließbaren Beutel und Taschen
dieser Weste waren nicht mit dem üblichen Sortiment an Waffen und Ersatzmunition bestückt, sondern mit einer Reihe von kleinen Werkzeugen und elektronischen Geräten. Randi ging um das Haus herum direkt auf die Vordertür zu. Das war der einzige Eingang, der bestimmt nicht mit einem Sperrbügel oder einem Riegel gesichert war.
Randi blieb stehen, kniete sich hin, um das Schloss kurz in Augenschein zu nehmen, und fischte dann den passenden Satz Dietriche aus einer der Westentaschen. Ehe sie sich an der winzigen Öffnung zu schaffen machte, hielt sie kurz inne. »Ich bin an der Tür, Carla«, murmelte sie in ihr Mikro, um ihre Teamkollegin zu informieren. »Sobald ich Bescheid gebe, möchte ich einen deutlichen 30-Sekunden-Countdown. Klar?«
»Verstanden«, antwortete die junge Frau. »Dreißig Sekunden sind eingestellt.«
»Bist du bereit, Mike?«, fragte Randi, diesmal an den Elektronikspezialisten gerichtet, der zu ihrem Einbruchsteam gehörte.
»Ich bin bei dir«, erwiderte der Techniker gelassen.
»Gut.« Randi riskierte einen schnellen Blick über die Schulter. Jeder, der auf der Straße vorüberkam, konnte sie sehen, allerdings nur, wenn er ganz genau hinschaute. Ein Grund mehr, nicht länger vor der Tür herumzulungern, ermahnte sie sich streng. Sie atmete tief durch und spürte die
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