Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
reichte ihn über den Tisch. »Das ist ein Beispiel für das, was ich bekomme. Sieh selbst.«
Es handelte sich um einen Bericht des Armeegeheimdienstes, der meldete, dass russische Truppen, die in Tschetschenien und entlang des Kaukasus stationiert waren, möglicherweise aufgestockt wurden.
Die Analytiker stützten sich weitgehend auf Satellitenfotos, die zeigten, dass große Mengen militärischer Ausrüstung per Zug in das Gebiet rund um Grosny geschafft wurden, und manche von ihnen vermuteten, dass die Russen ihre Streitkräfte verstärkten, um eine weitere große Offensive gegen die islamischen Rebellen in der Region zu starten. Andere widersprachen dieser Schlussfolgerung und behaupteten, bei den Bahntransporten handele es sich lediglich um den normalen Truppenaustausch. Eine kleine Minderheit war der Ansicht, dass die Panzer- und Schützeneinheiten, die scheinbar nach Tschetschenien abkommandiert worden waren, in Wahrheit in andere Gegenden umgeleitet wurden, doch niemand konnte genau sagen, wohin.
Klein blätterte die Papiere rasch durch und überflog sie mit wachsender Missbilligung. Das Nachrichtengeschäft war von Natur aus unvollkommen und unpräzise. Doch dieser Bericht war noch undurchsichtiger als die meisten. Die gegensätzlichen Theorien waren in erstaunlich vagen Worten abgefasst, so voller Wenn und Aber, dass ihnen jede Überzeugungskraft fehlte. Noch dazu wurden sie wild durcheinander präsentiert, ohne auch nur den Versuch
zu machen, sie der Wahrscheinlichkeit nach zu ordnen. Für einen politischen Entscheidungsträger, insbesondere auf Präsidentenebene, war diese Analyse letztlich nutzlos.
Mit großer Bestürzung blickte er auf. »Das ist zweitklassiges Material, Sam.«
»Eher drittklassig«, erwiderte Castilla grimmig. »Unsere besten Russland-Analytiker sind entweder tot oder voller Angst, als nächste an der Reihe zu sein. Die Ersatzleute haben einfach nicht so viel Erfahrung … und das merkt man.«
Klein nickte. Im modernen Nachrichtengeschäft die Spreu vom Weizen zu trennen – Bruchstücke abgefangener Gespräche, schwer zu interpretierende Satellitenfotos, irgendein Gerücht, das einem Agenten oder Botschaftsangestellten zu Ohren gekommen war, und all der Rest – war eine Fähigkeit, für die man jahrelange Übung und Erfahrung brauchte.
Mit besorgtem Gesichtsausdruck nahm der Präsident die Brille ab und warf sie auf den Schreibtisch. Er richtete den Blick auf Klein. »Was uns zu dem Auftrag bringt, den ich Covert-One gegeben habe – die Ursache dieser Krankheit zu erforschen. Was habt ihr bislang herausgefunden?«
»Weniger als dir lieb sein wird«, gestand Klein. »Doch ich habe gerade eine wichtige Nachricht von Colonel Smith und Ms. Devin erhalten.«
»Und?«
»Sie sind in Moskau definitiv einer sehr unschönen Sache auf die Spur gekommen«, sagte Klein leise. Er schnitt eine Grimasse und widerstand der Versuchung, die abgegriffene Pfeife aus Bruyèreholz zu betasten, die in seiner Jackentasche steckte. »Einiges, was sie berichten, passt zu dem, was du mir eben gezeigt hast. Leider ist mir aber noch nicht vollständig klar, was das alles zu bedeuten hat.«
Castilla hörte aufmerksam zu, während Klein zusammenfasste, was sein Team gemeldet hatte. Der Leiter des Covert-One erwähnte
auch ihren Verdacht, dass Konstantin Malkowitsch möglicherweise in die Angelegenheit verwickelt sein könnte, und die Gerüchte über einen bevorstehenden Militäreinsatz, die Oleg Kirows Kontaktmann beim russischen Geheimdienst weitergeleitet hatte.
Die Falten im Gesicht des Präsidenten wurden tiefer. »Das hört sich gar nicht gut an, Fred. Kein bisschen.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Es besteht also kein Zweifel, dass das, was vor zwei Monaten diese Menschen in Moskau getötet hat, dieselbe Krankheit ist, mit der wir es hier zu tun haben?«
»Nein, überhaupt kein Zweifel«, erwiderte Klein düster. »Smith bestätigt, dass die Befunde und Testergebnisse, die er gesehen hat, mit denen der Seuchenschutzbehörde und anderer Forschungseinrichtungen vollständig übereinstimmen. Aber …« Er verstummte.
»Aber was?«
»Aber wenn wir keine handfesten Beweise dafür liefern können, dass diese mysteriöse Krankheit mit Billigung der russischen Regierung als Waffe eingesetzt wird, können wir nicht erwarten, dass irgendjemand – weder in der NATO noch in den russischen Anrainerstaaten – irgendwelchen wirksamen Gegenmaßnahmen zustimmt«, fuhr Klein fort.
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