Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
anderen aufsprangen. Hinter der Tür lag ein glänzender, hell erleuchteter Flur. In der Wachstation gleich daneben standen zwei unnahbare Männer, beide mit einer Maschinenpistole im Arm, und beäugten ihn mit kritischem Blick. Einer von ihnen deutete höflich mit einer Kopfbewegung auf einen Garderobenständer. »Sie können Mantel, Hut und Waffe dort lassen, Signor.«
Der große Mann schmunzelte ein wenig, durchaus erfreut darüber, dass die strengen Sicherheitsvorkehrungen, die er angeordnet hatte, sogar auf ihn angewandt wurden. Nach den schlechten Nachrichten, die er kurz zuvor aus Prag erhalten hatte, war das zur Abwechslung sehr beruhigend. Er zog den Mantel aus und legte das Schulterholster ab, in dem seine Walther-Pistole steckte. Dann hängte er beides an einen Haken und nahm die Pelzmütze ab, was einen dichten hellblonden Haarschopf zum Vorschein kommen ließ.
»Dr. Renke ist über Ihre Ankunft informiert«, meldete einer der bewaffneten Wachmänner. »Er erwartet Sie im Hauptlabor.«
Erich Brandt, der Mann mit dem Codenamen Moskau-Eins, lächelte still. »Sehr schön.«
Das Hauptlabor nahm fast die Hälfte des Gebäudes ein. Computer, schachtelförmige DNA-Sequenzer und Synthesizer, Chromatographen, kaffeemühlengroße Elektroporatoren, versiegelte Röhrchen mit Reagenzien, Enzymen und anderen Chemikalien standen dicht gedrängt auf einer Reihe von schwarzen Labortischen. Mehrere Türen führten in Bruträume, die dazu benutzt wurden, die benötigten Viren und Bakterien zu kultivieren. Techniker und Wissenschaftler mit sterilen Schutzanzügen, Handschuhen, Mundschutz und durchsichtigen Gesichtsschilden aus Plastik bedienten die Geräte und arbeiteten sorgfältig die streng vorgeschriebene Schrittfolge ab, die zur Produktion jeder einzelnen, einzigartigen HYDRA-Variante nötig war.
Brandt blieb an der Tür stehen und verfolgte den komplizierten Prozess mit Interesse, doch sehr wenig echtem Verständnis. Obwohl Wulf Renke schon mehrfach versucht hatte, ihm die Feinheiten zu erklären, war Brandt aus dem Wust von wissenschaftlichen Begriffen nicht schlau geworden.
Der groß gewachsene blonde Mann zuckte die Achseln. Spielte das irgendeine Rolle? Er besaß die Fähigkeit, kaltblütig und gezielt zu morden, und HYDRA war eine Waffe wie jede andere. Von allem wissenschaftlichen Ballast befreit war HYDRA zwar kompliziert in der Herstellung, in der Wirkung aber ganz einfach – nämlich absolut tödlich.
Zunächst beschaffte man sich ein wenig DNA des ausgewählten Opfers – aus einem Haar, einem Hautpartikel, etwas Speichel oder sogar aus den Fetten in seinem Fingerabdruck. Dann folgte das langwierige Verfahren, in dem man Schlüsselbereiche der gentragenden Chromosomen absuchte, um spezielle Abschnitte der genetischen Sequenz zu finden, die bei diesem Individuum einzigartig
waren und gleichzeitig auch repliziert wurden. Wenn das geschehen war, stellte man einzelne Stränge der sogenannten cDNA her, der komplementären DNA, und schuf so exakte Spiegelbilder der ausgesuchten Zielabschnitte.
Im nächsten Schritt musste ein relativ kleines, im Menschen aktives Virus mit einsträngiger DNA geändert werden. Mithilfe verschiedener chemischer Prozesse war es möglich, ihm alles zu nehmen, außer den Genen, die für seine schützende Proteinhülle sorgten, und jenen, die es dem Virus gestatteten, direkt ans Ziel, in den menschlichen Zellkern, zu gelangen. Dann fügte man die sorgsam kreierten Abschnitte der komplementären DNA, die man aus dem Genom des Opfers gewonnen hatte, hinzu und das veränderte Virus wurde zu einem Ring geschlossen, sodass ein selbstreplizierendes Plasmid geschaffen war.
Danach konnten die viralen Plasmide in E. coli eingefügt werden, gutartige Bakterien, die gewöhnlich im menschlichen Darm zu finden sind. Anschließend mussten diese modifizierten E. coli -Bakterien nur noch gezüchtet und konzentriert werden, bis man genügend Material hatte, dann war die HYDRA-Variante bereit für den Transport zum ausgewählten Opfer.
Unsichtbar, geruch- und geschmacklos konnten diese Bakterien der zu tötenden Person eigentlich in jeder Form von Nahrung verabreicht werden. Sobald sie aufgenommen waren, setzten die modifizierten Bakterien sich im Darm fest und vermehrten sich rasch. Und während sie sich vermehrten, gaben sie beständig die genetisch veränderten Viruspartikel ab, die mit dem Blutstrom in den ganzen Körper gelangten.
Brandt wusste, dass diese Viruspartikel die tödlichste
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