Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
marschierte einen breiten Korridor entlang. Gestresst aussehende Botschaftsangestellte, die mit Stapeln von Einreiseanträgen und anderem amtlichen Schriftverkehr im Arm von einem geschäftigen Büro zum nächsten hetzten, gingen ihr eilig aus dem Weg.
Der groß gewachsene Marinekorporal mit dem kantigen Kinn, der vor dem abhörsicheren Konferenzzimmer Wache stand, kam ihr einen Schritt entgegen. Während er ihren Ausweis kontrollierte, hielt er eine Hand an der Waffe in seinem Gürtelholster. Dann nickte er. »Sie können direkt durchgehen, Ms. Russell. Mr. Bennett erwartet Sie bereits.«
Curt Bennett, der Leiter des Technikteams, das von der CIA-Zentrale geschickt worden war, hob bei ihrem Eintritt kaum den Blick. Mit vor Müdigkeit rot unterlaufenen Augen, unrasiert und reichlich zerknittert saß er über zwei PCs gebeugt, die am Ende des langen Tisches miteinander verbunden waren. Er und seine Leute hatten die gesamte letzte Nacht und den bisherigen Morgen damit zugebracht, das Material zu sichten, das sie aus den BKA-Archiven kopiert hatte. Tassen mit kaltem Kaffee und halbvolle Mineralwasserdosen standen überall im Zimmer herum, manche auf dem
Tisch, andere auf dem Boden oder etwas wacklig auf den Stühlen. Die Luft im Konferenzzimmer war verbraucht.
Randi zog einen Stuhl heran und setzte sich neben Bennett. »Ich habe deine Nachricht erhalten, Curt«, sagte sie zu dem erfahrenen Spezialisten – einem kleinen, zappeligen Mann mit sehr wenig Haar und dicken, drahtgeränderten Brillengläsern. »Was hast du mir zu sagen?«
»Dass du mit deinen wüsten Vermutungen ins Schwarze getroffen hast«, erwiderte er mit einem spontanen, strahlenden Lächeln. »Es gibt einen bösen Buben beim BKA, der Herrn Professor Wulf Renke geholfen hat.«
Randi atmete aus, sie fühlte sich, als wäre ihr eine große Last von den Schultern genommen worden. Je länger sie sich mit Renkes Vergangenheit beschäftigt hatte, desto mehr war sie zu der Überzeugung gelangt, dass irgendein ranghoher deutscher Gesetzeshüter ihn beschützte. Wie sonst hätte der Spezialist für Biowaffen nach dem Fall der Mauer so leicht der Gefangennahme entgehen können? Und wie sonst wäre es ihm möglich gewesen, anscheinend nach Belieben alle möglichen Schurkenstaaten der Welt zu bereisen – unter anderem Irak, Nordkorea, Syrien, Libyen?
Doch ein sicheres Gefühl zu haben, war eine Sache; ihre Karriere und die guten Beziehungen der Agency zu den deutschen Alliierten aufs Spiel zu setzen, indem sie in die BKA-Archive eindrang, etwas völlig anderes. Deshalb erleichterte es sie sehr, dass ihr Hasardspiel sich ausgezahlt hatte. Falls die Operation fehlschlug, konnte die CIA-Spitze sie immer noch den Wölfen vorwerfen, doch wenigstens konnte man nicht mehr behaupten, sie hätte keine Beweise gehabt.
Randi beugte sich vor. »Zeig es mir.«
»Die meisten Dinge, die JANUS gefunden hat, waren unverfänglich«, erklärte Bennett. Während er redete, flogen seine Finger über die Tastatur des einen Computers und riefen rasch nacheinander eine Reihe von Dokumenten auf, die ebenso schnell wieder
in der elektronischen Versenkung verschwanden. »Eigentlich ganz normale Sachen. Ungefähr das, was wir auch in unseren Archiven über Renke haben – Berichte von Gerüchten, die Feldagenten zu Ohren gekommen sind, Hinweise auf eventuelle Sichtungen, die nichts erbrachten, routinemäßige Nachfragen von Vorgesetzten … dieses ganze Zeug.«
»Und was gab es für Auffälligkeiten?«, fragte Randi.
»Auffällig ist«, antwortete Bennett mit breitem Grinsen, »dass der BKA-Computer voller Leichen ist.«
»Leichen?«, fragte Randi verständnislos.
»Gelöschte Ordner und E-Mails«, erklärte der CIA-Computerexperte. »Die meisten Text- und Datenverwaltungsprogramme haben einen großen Fehler, zumindest aus der Sicht derjenigen, die belastendes Material verschwinden lassen möchten.«
»Und der wäre?«
Bennett zuckte die Achseln. »Man kann auf ›Löschen‹ drücken und das Dokument in den Papierkorb wandern sehen. Doch das bedeutet nicht, dass es für immer verschwunden oder in unleserliche Bits und Bytes zerlegt worden ist. Eigentlich wird es nur zur Seite gelegt, um überschrieben zu werden, wenn das System Platz braucht. Da aber E-Mails und andere Textdokumente gar nicht so viel Platz beanspruchen – insbesondere in einem riesigen Verbundsystem – sind sie meistens noch da und warten nur darauf, von der richtigen Datenrettungs-Software wieder
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