Das Motel
unter das Kissen schob. Doch auch hier fühlte sie nichts außer einem kalten Laken.
Sie zog ihre Hand wieder heraus.
Vielleicht hat Morrie sie ja gar nicht genommen, dachte sie nervös. Aber wenn nicht … wer dann?
Trotzdem hielt sie Morrie nach wie vor für den wahrscheinlichsten Kandidaten. Schließlich war er in ihrer Wohnung gewesen, mehrmals, und hatte genügend Zeit gehabt, den Revolver an sich zu nehmen. Und er hatte gute Gründe gehabt, ihn zu stehlen. Es ergab Sinn und darum suchte sie weiter.
Ihr Blick fiel auf den Gepäckstapel auf dem Boden. Sie eilte hinüber und ging in die Hocke. Insgesamt waren es vier Gepäckstücke – zwei Sporttaschen und zwei Koffer.
Madge öffnete den Reißverschluss der alten blauen Tasche und wühlte darin herum. Aufgrund der Höschen und Blusen nahm sie an, dass es Judys Tasche war. Sie durchsuchte sie ausführlich und öffnete sogar die Seitentaschen, aber sie fand keine Waffe.
Als Nächstes schnappte sie sich einen der Koffer.
Sie klappte die Verschlüsse hoch und öffnete ihn.
Ganz offensichtlich gehörte er Morrie. Sie fand Hosen und Jeans und jede Menge Flanellhemden und alte Pullover. Sie zog sämtliche Klamotten heraus, fand aber nur eine Zahnbürste, Deo, Aftershave und einen Rasierer.
Keine große, glänzende Magnum.
Sie warf die Kleider wieder in den Koffer und klappte den Deckel zu.
Dann drehte sie den Kopf und schaute zu den beiden Flüchtigen hinüber. Nach wie vor völlig weggetreten. Sie drehte sich wieder um und griff nach der schwarzen Adidas-Tasche.
Sie öffnete den Reißverschluss, schaute hinein und kippte beinahe hintenüber.
Als sie sich wieder gefangen hatte, fasste Madge in die Tasche und holte das Gewehr heraus.
»Oh, mein Gott«, flüsterte sie.
Sie stand auf und stellte die Tasche auf den Tisch.
Sie hielt das Gewehr in ihren Händen, ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht. Sie hatte schon immer mal ein Gewehr in der Hand halten wollen und es war genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Es fühlte sich lang und schwer und mächtig an.
Als sie bemerkte, dass kein Magazin in der Waffe steckte, zielte sie neben den Kühlschrank und drückte ein paarmal auf den Abzug. Es fühlte sich ganz leicht und natürlich an.
Dann senkte sie die Waffe und drehte sich wieder zu der Adidas-Tasche um.
Darin fand sie ein Magazin, ein halbes Dutzend Schachteln Munition und ein paar einzelne Patronen. Sie legte alles auf den Tisch und warf die Tasche dann auf den Boden.
Vorsichtig legte sie auch das Gewehr auf den Tisch und griff dann nach dem Magazin und den losen Patronen. Mit dem Daumen schob sie sie von oben hinein und holte sich Nachschub aus einer der Schachteln, als ihr die Patronen ausgingen.
Als das Magazin voll war, griff sie nach der Waffe und steckte es an seinen Platz, lud die Kammer jedoch nicht. Sie hielt es für das Beste, wenn das Gewehr nicht feuerbereit war, solange sie es nicht benutzen musste – und hoffentlich würde es auch nicht dazu kommen.
Dann kam ihr ein Gedanke.
Höchstwahrscheinlich war dies die Waffe, mit der Morrie den Jungen getötet hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass in den Nachrichten erwähnt wurde, um welche Art von Waffe es sich gehandelt hatte, aber Madge würde alles, was sie hatte, darauf verwetten, dass es diese hier war.
Plötzlich fühlte sie sich schmutzig und böse, weil sie das Gewehr in der Hand hielt, und legte es zurück auf den Tisch.
Jetzt muss ich noch die Autoschlüssel finden.
Ihr Plan war es, mit Morries Wagen nach Hutto zu fahren. Dort würde sie die Polizei in Mansfield benachrichtigen.
Aber sie wollte noch warten, bis die beiden wieder aufgewacht waren.
Sie wollte Judy erzählen, was wirklich zwischen ihnen beiden passiert war. Nach allem, was er ihr angetan hatte – was er ihr und Judy angetan hatte – hatte er es verdient, dafür zu bezahlen.
Darauf freute sie sich am meisten. Auf den Ausdruck auf Morries Gesicht, wenn ihm bewusst wurde, dass sie alles auspacken würde. Und auf den Ausdruck auf Judys Gesicht, wenn sie endlich die Wahrheit erfuhr.
Dass die Polizei sie am Ende schnappen würde, war nichts weiter als der Schlussakkord, ein Nachsatz.
Aber Morrie heimzuzahlen, dass er sie angelogen und sie genommen hatte, obwohl er wusste, dass er ein Mörder war, dass er ihre Waffe gestohlen, ihre Telefonleitung gekappt und ihre Reifen aufgeschlitzt hatte – das wünschte sie sich am meisten. Und das konnte sie tun, indem sie seiner Frau offenbarte, was für ein
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