Das Mozart-Mysterium
eine wichtige Inschrift tragen? Ich hasste diese Gedanken, denn dies würde bedeuten, dass ich am unbehauenen Rand der hohen Felswand emporklettern müsste, um von oben an das Wappen zu gelangen. Doch ich hatte keine andere Wahl.
Die rechte Seite erschien mir am Erfolg versprechendsten, das Gestein war zumindest am unteren Drittel der Wand so uneben, dass man es als Stufen nutzen konnte. Ich kletterte mit Händen und Füßen zugleich, denn die Wand war derart hoch, dass ein Absturz hinab auf die steinerne Bühne schon von mittlerer Höhe schwere Verletzungen bedeuten würde.
Ich hatte bereits mehr als die Hälfte hinter mir, als ich merkte, dass das Gestein hier mürber war. Immer wieder brachen kleine Stücke ab. Unter meinen Füßen gab es ständig etwas nach und kleine Brocken stürzten hinunter. Plötzlich wurde mir klar, dass der Großteil der Felswand aus weichem Tuffgestein war. Kein Wunder, dass eine solche Bühne herausgehauen werden konnte, denn das Gestein war weich.
Es bröckelte jetzt immer mehr rings um mich herum. Ich rutschte. Ich versuchte immer wieder, weiterzuklettern. Ohne Erfolg. Wenn ich den Aufstieg fortsetzte, würde ich abstürzen. Was sollte ich tun? Mein Schwung und Elan hatten mich so weit hinauf auf den Fels getrieben und ich hatte daher das weiche Gestein nicht bemerkt; nun war ich dermaßen weit oben, dass selbst der Rückweg lebensgefährlich war.
Wenn mir aber so oder so ein Absturz drohte, würde ich zumindest probieren, das Wappen zu erreichen und meine Aufgabe noch zu lösen. Sollte ich zu Tode stürzen, würde Mozart erfahren, dass ich mein Bestes gegeben hatte. Vielleicht würde er durch den Ort meines Sturzes und das abgebrochene Gestein aufmerksam und misstrauisch gemacht, um sodann einen besseren Weg zu wählen und das Versteck ausfindig zu machen.
Mit jeder Bewegung rutschte ich fast die gleiche Strecke zurück, die ich vorwärts gekommen war. Schließlich erreichte ich schweißgebadet mit Müh und Not das Wappen, unter mir Tiefe und Steinboden.
Es ragte wie ein Schild vom Rand der Bühne empor. Dahinter befand sich ein steinernes Kästchen. Ich versuchte, es zu öffnen, aber es war im Fels befestigt. Durch heftiges Rütteln riss der Deckel ab, der trotz der kleinen Größe von höchstens 10 Zoll Durchmesser sehr schwer war. Das Kästchen war leer. Entsetzt tastete ich das Innere ab. Nichts!
In diesem Moment vernahm ich ein leises, zunehmend anschwellendes Krachen. Ehe ich verstand, wie mir geschah, gab die Wand unter mir nach und ich rauschte, begleitet von lautem Gerumpel und Geröll, die Rückseite der Wand hinab in den Wald. Zu meinem Glück waren die Bäume noch voll Laub und überdies war zwischen diesen dichtes Gestrüpp. Mein Aufprall wurde etwas abgedämpft.
Allein die vielen kleinen Steine, die ich mit hinabgerissen hatte, fügten mir am ganzen Körper Schrammen zu. Als ich mich vorsichtig aufgesetzt hatte und meinen Körper nach Verletzungen abtastete, stob plötzlich der Schutt vor mir auseinander und ein schwarzes Ungetüm sprang zunächst mit lautem Grunzen gegen mich, verschwand dann aber schnell in den Büschen.
Obwohl ich es nicht mit Sicherheit sagen konnte, so vermutete ich doch, dass es ein Wildschwein gewesen war, das, zunächst vom Steinschlag benommen, plötzlich zu sich kam und Reißaus genommen hatte. Ich schüttelte den Staub von mir ab.
Aus dem Augenwinkel nahm ich unvermittelt einen Schatten war, den Umriss einer Person, die oben auf dem Hügel stand, direkt neben der steinernen Wand des Theaters, von der ich abgestürzt war. Ich erkannte Lucchesini in seinem dunklen, wehenden Mantel, der mir zurief: »David, das Versteck wurde geplündert und das Buch gestohlen. Geh’ zu Solaris Grotte!« Ich wandte mich nur kurz ab, da ich einen stechenden Schmerz im Bein spürte. Als ich mich daraufhin wieder Lucchesini zuwandte, war er verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Ich rappelte mich auf, trotz Schürfwunden schien nichts gebrochen. Als ich mich auf den Heimweg begab, blieb ich immer vorsichtig, darauf bedacht, in keinen Hinterhalt zu geraten. Beim langen Gang durch den Hohlweg ließ ich mir den Hinweis Lucchesinis immer wieder durch den Kopf gehen: ›Geh’ zu Solaris Grotte.‹
Grotten gab es im nahegelegenen Hellbrunn. Wir mussten also wenigstens einen Abstecher dorthin machen, um den Ort zu prüfen.
Als ich schließlich bei der Kutsche angelangt war, freute ich mich sehr, den Adlatus unversehrt vorzufinden. Ich berichtete ihm von
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