Das Multiversum 1 Zeit
Horizont erweitern. Noch ein paar Megajahre, und die Biosphäre erreicht die drei Millionen Lichtjahre entfernte Andromeda-Galaxis …«
»Der nächste große Galaxienhaufen ist der Virgo-Haufen«, sagte Cornelius. »Sechzig Millionen Lichtjahre entfernt. Es wäre vorstellbar, dass die Biosphäre sich inzwischen so weit erstreckt.«
»Wir müssen uns vergewissern«, sagte Malenfant. »Noch mehr Feuerkäfer hindurchschicken. Vielleicht wäre es möglich, hier auf dem zukünftigen Cruithne eine Forschungsstation zu errichten.«
»Mein Gott, Malenfant, das ist doch eine Einbahnstraße«, sagte Emma.
»Ja, aber wie auf dem heutigen gibt es auch auf dem zukünftigen Cruithne Ressourcen. Genug, um eine Kolonie für Jahrhunderte zu unterstützen. Und an Freiwilligen hätten wir auch keinen Mangel. Ich würde auch selbst gehen. Vielleicht wird es uns gelingen, direkten Kontakt zu denen am Unterlauf der Zeit aufzunehmen.«
Malenfant und Cornelius ergingen sich in Spekulationen.
Aber das Wesentliche erkennen sie nicht, sagte Emma sich. Wieso bekommen wir das gezeigt? Was wollen die Unterlaufbewohner eigentlich?
… Eine schemenhafte Bewegung tauchte in der Ecke der Softscreen-Abbildung auf. Ein verwaschener goldener Klecks.
»Da ist die Sheena«, sagte sie. »Cornelius, die Kamera. Schnell!«
Der verdatterte Cornelius tat wie geheißen. Wieder das quälende Warten, während Cornelius' Befehl durchs All kroch und durchs Portal in diese unglaubliche Zukunft übermittelt wurde.
Das Bild kippte, und das Licht der Galaxis verschwamm auf dem Bild zu Schlieren. Aber sie sahen, dass der Ball über die Oberflä-
che aufs Portal zurollte.
»Sie macht sich auf den Rückweg«, sagte Emma.
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»Sie verstehen nicht«, widersprach Cornelius. »Sie wird nicht zu-rückkommen. Es ist kein Zwei-Wege-Portal.«
»Wenn sie hindurchgeht, wird sie also …«
»Woanders herauskommen.«
Auf dem Bildschirm segelte der goldene Ball ins Interface. Er verfärbte sich rötlich, wurde langsamer und verschwand.
Der Feuerkäfer rollte im weichen Licht der Galaxis aufs Tor der Unterlaufbewohner zu.
Maura Della:
Offenes Journal. 22. Oktober 2011.
Ist das wahr? Ist es möglich? Wollen wir überhaupt, dass es wahr ist?
Die Leute scheinen zu glauben, dass ich leichteren Zugang zu Malenfant und seinen Projekten hätte, als es tatsächlich der Fall ist. Ich weiß nicht, ob diese sensationellen Bilder aus der Zukunft eine Fälschung, eine Fehlinterpretation oder echt sind. Ich weiß auch nicht, ob sie die einzig mögliche Zukunft abbilden oder eine von vielen.
Ich weiß nicht einmal, ob diese Bilder mit oder ohne Malenfants Zustimmung veröffentlicht wurden. Wenn man im Kongress um Glaubwürdigkeit wirbt, ist es im Allgemeinen nicht hilfreich, wenn die Medien und alle renommierten Wissenschaftler der Erde einen als Spinner bezeichnen.
Was ich weiß, ist, dass die Bilder, ob sie nun echt oder gefälscht sind, einen enormen Eindruck auf die Welt gemacht haben.
Es hat sich natürlich alles aufgeschaukelt: die Hysterie wegen der Carter-Vorhersage, die seltsame Gefühlslage aus Angst und Scham, die wir wegen der Blauen Kinder empfinden und nun auch noch diese Lichtershow aus der Zukunft. Und das alles überwölbt von 290
Reid Malenfants außergewöhnlicher Persönlichkeit und seinen gigantischen Projekten.
Und nicht zu vergessen die extremen Reaktionen, die wir erleben. Gewalt, Selbstmorde und dergleichen sind natürlich bedauer-lich, und es gibt eine Reihe von ›Führern‹ – sogar hier im Kapitol – die meiner Meinung nach einen kühlen Kopf bewahren sollten.
Aber wie sollen wir reagieren? Als Spezies haben wir noch nie ei-ne angemessene Debatte über die Zukunft geführt. Und nun haben wir alle daran teil, jeder kann seine Stimme erheben und sich dazu äußern.
Nur dass niemand weiß, worüber wir überhaupt sprechen. Aber ich finde das gar nicht so schlimm. Irgendwo muss die Diskussion schließlich ansetzen.
Vielleicht gehört das aber zum Erwachsenwerden unsrer Rasse.
Vielleicht muss jede technische Zivilisation Krisen überstehen: Waffen erfinden, die ihren Planeten zerstören können, und die ›Fähigkeit‹ entwickeln, die Umwelt zu vermüllen. Dazu kommt ei-ne philosophische Krise: Wir müssen unser langfristiges Schicksal annehmen oder uns mit dem baldigen Untergang abfinden.
Wie jeder von uns als Individuum sich mit dem Tod auseinander setzen muss.
Emma Stoney:
Noch ein blauer Blitz. Und …
Und nichts.
Das Dunkel vor
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