Das Multiversum 1 Zeit
eine Ökologie. Wie ein Korallenriff oder ein Wald.« Er schaute auf. »Sie erkennen den Halo, die sphä-
rische Wolke um die Hauptscheibe. Uralte, stabile Sterne. Und die Sterne der Population II im Kern sind auch alt. Sie sind in der Frühgeschichte der Galaxis entstanden: Die Überlebenden sind sehr alt und im Endstadium der Entwicklung.
Heute werden neue Sterne fast nur noch in den Spiralarmen geboren. Die Sterne kondensieren aus dem interstellaren Medium – einem reichen, komplexen Gemisch aus Gas-und Staubwolken.«
Er warf einen Blick auf die Softscreen und wies auf die Spiralarme. »Sehen Sie diese Blasen? Die E-Systeme sagen mir, dass es sich 286
um Blasen aus heißem Plasma mit einem Durchmesser von hunderten Lichtjahren handelt, die von Supernova-Explosionen übrig geblieben sind. Die Schockwellen der Supernova reichern das Medium mit schweren Molekülen – Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisen – an, die in den Sternen entstanden sind. Und jede Schockwelle löst eine neue Geburtenwelle von Sternen aus.
Wodurch wiederum Riesensterne und Supernovas entstehen …
Wodurch das Medium ›umgerührt‹ wird und kontrolliert neue Sterne geboren werden. Es ist eine Rückkopplungsschleife mit Supernovae als Katalysator. Die Galaxis ist ein sich selbst regulieren-des System aus hundert Milliarden Sternen, das größte uns bekannte organisierte System, in dem Generationen von Sternen als Zwerge oder Schwarze Löcher enden. Bei den Spiralen handelt es sich eigentlich um Geburtenwellen von Sternen. Diese Wellen werden von den kurzlebigsten, hellsten Sternen ausgelöst und pflanzen sich auf uns unbekannte Art und Weise durch die Galaxis fort…«
»Wie ein Riff«, sagte Emma. »Die Sheena hatte also Recht.«
Cornelius sah mit gerunzelter Stirn auf die Softscreen. »Aber…«
»Was ist denn los?«
»Da stimmt etwas nicht. Ich – die E-Systeme – glauben,es gibt zu wenig Supernovae. In unsrer Zeit müssten die heißen Plasma-Blasen ungefähr siebzig Prozent des interstellaren Mediums ausmachen … Das hier sieht mir aber nach viel weniger als siebzig Prozent aus. Ich lasse zur Überprüfung einen Algorithmus ablaufen…«
»Was«, sagte Malenfant gleichmütig, »könnte die Anzahl der Supernovae denn reduzieren?«
Cornelius grinste ihn an.
Emma schaute von einem zu andern. »Was ist los? Ich verstehe nicht.«
»Leben«, sagte Malenfant. »Leben, Emma.« Er stieß die Faust in die Luft. »Ich wusste es. Wir haben es geschafft, Emma. Das ist es, 287
was die Supernova-Zahlen uns sagen. Wir haben die Carter-Katastrophe überlebt, die Erde verlassen und die Galaxis besiedelt.«
»Und«, sagte Cornelius, »wir haben die Sterne nutzbar gemacht.
Bemerkenswert. Das Bewusstsein hat sich zwischen den Sternen ausgebreitet. Und genau so, wie wir heute schon die Evolution des Lebens auf der Erde kontrollieren, werden wir in der Zukunft die Evolution der Galaxis kontrollieren. Wie ein gigantisches Lebenserhaltungssystem. Geschlossene Schleifen in galaktischem Maß-
stab …«
»Dieses Bild muss ich unbedingt präsentieren, wenn ich die nächste Rede in Delaware halte«, brummelte Malenfant.
»Falls es sich dabei um Intelligenz handelt, woher wollen Sie wissen, ob sie überhaupt menschlich ist?« gab Emma zu bedenken.
»Was sollte es denn sonst sein?« fragte Malenfant.
»Er hat Recht«, sagte Cornelius. »Wir scheinen von einer Großen Leere umgeben zu sein. Von den sonnenähnlichen Sternen in nächster Nähe kommen keine Hinweise auf Radio-Emissionen zi-vilisatorischen Ursprungs. Das Sonnensystem wirkt urzeitlich in dem Sinn, dass es keinerlei Anzeichen der großen Ingenieursprojekte gibt, die uns heute schon vorschweben: Zum Beispiel sind Venus und Mars noch keiner Terraformung unterzogen worden.
Das Antlitz des Mondes scheint sich seit dem Ende der großen Bombardierungen vor vier Milliarden Jahren im Wesentlichen nicht verändert zu haben.
Selbst wenn Sie schon lang verschwunden sind, müssten wir überall Ihre mächtigen Ruinen sehen. Aber da ist nichts. Wie eine Ameise, die in einer Großstadt umherkrabbelt, würden wir vielleicht nicht wissen, welchen Zweck Ihre großen Strukturen erfüllen, aber wir würden sie zumindest als Artefakte wahrnehmen …«
»Heute gibt es nur uns«, sagte Malenfant. »In der Zukunft schwärmt irgendjemand durch die Galaxis aus. Aber wer außer uns? Zumal fünfundsiebzig Megajahre mehr als genug sind, um 288
sich über die Galaxis auszubreiten. Wisst ihr, wir sollten unsren
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