Das Multiversum 1 Zeit
eine Party in der Habitat-Kuppel. Sie machten sich über den wertvollen Schokoriegel-Vorrat her und spülten ihn mit Cruithne-Wasser runter.
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Am nächsten Tag bereiteten die vier sich auf die Erkundung von Cruithne vor.
In der Enge der Kuppel zogen sie sich nackt aus – nach neunzig Tagen hatten sie ihre Scheu überwunden, obwohl Emma unerklär-licherweise fror –, und dann halfen sie sich gegenseitig beim Anlegen der Hautanzüge. Obwohl das in der geringen Schwerkraft nicht ganz einfach war.
Malenfant leierte Anweisungen herunter: »Darauf achten, dass er keine Falten wirft. Wenn der Druck nicht gleichmäßig verteilt wird, staut sich das Blut…«
Emmas Hautanzug war ein leichter Spandex-Overall in der Art einer Motorradkombi. Das Material war ein erstaunlich weitma-schiges Geflecht; wenn sie die Hand hochhielt und die Finger spreizte, sah sie sogar die Haut durch die kleinen Löcher im Gewebe. Das Spandex, ein blasses Orange, das sich über den Knochen blau verfärbte, sollte das Ausgasen und Verspröden verhindern, dem Gummi im Vakuum unterlag. Der Anzug hatte eine Kapuze, 410
Handschuhe und Stiefel, die mit Reißverschlüssen mit dem Anzug verbunden wurden. Das Einzige, was sie unter dem Anzug trug, war ein Katheter, der zu einem Urinsammelbeutel führte.
Die leichten, bequemen Hautanzüge hatten die alten Druckanzü-
ge ersetzt – große, plumpe und körperkonturierte Ballons –, die frühere Generationen von Raumfahrern getragen hatten. Aber es war wichtig, dass der Hautanzug richtig saß; der Druck musste überall auf der Haut gleich sein.
Im Grunde war das aber auch schon eine alte Technik. Für Ver-brennungsopfer gab es seit langem elastische Bandagen, die einen gleichmäßigen Druck auf einen größeren Bereich der Haut ausübten. Dadurch wurde die Narbenbildung minimiert. Es überraschte sie deshalb auch nicht, als sie hörte, dass ein Ableger von Bootstrap ein Unternehmen für medizinisches Zubehör erworben hatte, das seit Jahrzehnten auf solche Sachen spezialisiert war und nun durch den Verkauf von verbesserten Brandverbänden an die Krankenhäuser Gewinn erzielte.
Über den Hautanzug kamen weitere Schichten aus lockeren und leichten Kleidungsstücken. Zuerst ein Wärmeschutz-Anzug, ein Geflecht aus Wasser führenden Schläuchen, das für eine gleichmä-
ßige Körpertemperatur sorgen sollte und zum Schluss noch ein weit geschnittener Overall, ein Mikrometeoriten-Schutzanzug. Auf die Brust dieses Kleidungsstücks war sogar im NASA-Stil ihr Na-me gestickt: STONEY. Sie setzte sich den Kugelhelm mit dem goldbedampften Visier auf und legte dann den Tornister an, einen kleinen batteriebetriebenen Rucksack mit Pumpen und Lüftern, die für einen Zeitraum von zwölf Stunden Luft und Wasser im Anzug zirkulieren ließen.
Nun sehe ich wirklich aus wie ein Astronaut, sagte sie sich.
Malenfant forderte sie alle auf, sich in den Anzügen zu setzen und in der kleinen aufblasbaren Luftschleuse des Habitats dem Va-411
kuum auszusetzen. Er bezeichnete das als Endabnahme der Anzü-
ge.
Nachdem sie die letzten Tests abgeschlossen hatten, gingen sie nach draußen.
Sie quetschten sich in die Luftschleuse. Emma spürte, wie Sauerstoff ihr übers Gesicht fächelte und hörte das sonore Summen und Surren des Tornisters.
Michael, der neben ihr in der Luftschleuse stand, packte ihre Hand. Aber er zeigte keine Angst. Ganz im Gegenteil, seit der Landung auf Cruithne machte er einen ruhigen und beherrschten Eindruck. Als ob er, nachdem sie angekommen waren, begriffen hätte, weshalb sie hier waren und was sie finden würden.
Als ob er hierher gehörte.
Malenfant öffnete den Reißverschluss der Textiltür der Luftschleuse, rollte sie zusammen und machte einen Schritt nach vorn.
Emma sah gefrorene Luft, die ins Vakuum wirbelte. Die Teilchen glitzerten im Sonnenlicht, als ob diese Hand voll Moleküle den unendlichen Raum auszufüllen versuchte. Die letzten Geräusche erstarben. Sie hörte nur noch ihren Atem laut im Kugelhelm rauschen und die Geräusche, die der Anzug verursachte: das Knistern des Hautanzugsgewebes auf der nackten Haut, wenn sie sich bewegte.
Emma steckte den Kopf aus der Luke; sie hielt Michaels Hand.
Das Sonnenlicht überflutete sie. Es blendete sie schier nach den drei Monaten im schummrigen Licht der O'Neill. Sie machte einen Schritt aus der Luftschleuse und sank sanft wie eine Schneeflocke auf den Boden von Cruithne.
Als die blau gestiefelten Füße mit schlafwandlerischer
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