Das Multiversum 1 Zeit
verdampfte in einer gewaltigen langsamen Explosion. Das Schiff geriet ins Taumeln und drehte sich unkontrolliert um die Mittel-achse. Die verschrumpelte Membran fiel weg. Emma sah noch mehr Funken, als die Piloten die Steuertriebwerke betätigten und das Schiff wieder unter Kontrolle zu bringen versuchten.
»Das reicht nicht«, sagte Cornelius.
»Was meinen Sie?« fragte Emma.
»Bei einem Frontalzusammenstoß hätte die Kalmar-Rakete das Ding zu Schrott zerschmettert. Es wäre wie ein Ei aufgeplatzt.
Aber der seitliche Treffer ist nur lästig.«
»Sie meinen«, sagte Malenfant, »dass sie nun richtig böse werden.«
Kleine Luken in der Schiffshülle glitten zurück, und winzige komplexe Spielzeuge wurden ausgefahren. Sie schwenkten synchron in alle möglichen Richtungen, und dann schossen sie in tödlichen geraden Linien über den Horizont hinweg.
»Comsats«, sagte Malenfant. »Für Führung, Kommunikation, Kontrolle. Damit sind sie imstande, um die Ecke zu schauen, wenn sie die Operation beginnen.«
»Was für eine Operation?« fragte Emma.
»Die Eroberung von Cruithne. Was sonst?«
Und dann erbebte der Boden.
Sie sah, dass sie alle emporschwebten wie Wassertropfen, die ein Hund sich aus dem Fell schüttelt. Dann landeten sie taumelnd 492
wieder. Emma glaubte, starke langsame Wellen zu spüren, die sich im staubigen Boden fortpflanzten.
»Was, zum Teufel, war das wieder?« blaffte Malenfant.
Cornelius deutete zum Horizont.
Eine Eisfontäne eruptierte. Tröpfchen, die wie Miniatur-Sterne glänzten, breiteten sich unbeeindruckt von Cruithnes schwacher Schwerkraft in schnurgeraden Linien aus.
»Sie greifen die Kalmare an«, sagte sie. »Ihre Kuppeln …«
»Ja«, knurrte Malenfant.
»Wie machen sie das?« fragte Emma. »Wie führt man einen Krieg im Weltraum?«
»Vielleicht haben sie ein Projektil abgefeuert«, sagte Malenfant.
»Wie eine Antisatelliten-Rakete.«
»Nein.« Cornelius wies auf den ›Suchscheinwerfer‹ auf der Schiffshülle. »Das sieht mir wie ein Laser-Visiergerät aus. Wahrscheinlich ein chemischer Laser mit einer Leistung von ein paar Megawatt und einem Spiegeldurchmesser von einem Meter.«
»Könnten sie ihn noch mal abfeuern?« fragte Emma.
»Darauf kannst du wetten«, sagte Malenfant. »Die Babies, die sie damals in den 80ern für ›Star Wars‹ entwickelt haben, waren für ein paar tausend Schuss ausgelegt.«
Die Eisfontäne erstarb schon wieder.
Emma war froh, dass wenigstens ein paar Kalmare dem Tod ent-ronnen und unterwegs zu den Trojanern im Jupiterorbit waren, wo sie weit außerhalb der Reichweite dieser brutalen militärischen Intervention waren.
Im Gegensatz zu ihr.
»Unser Habitat werden sie als Nächstes aufs Korn nehmen«, sagte Cornelius. »Dann schießen sie die O'Neill zusammen.«
»Das würden sie nicht tun«, sagte Emma. »Sie würden uns umbringen.«
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»Sie wissen aber nicht, wer auf sie feuert. Sie werden erst schieß-
en…«
»… und uns dann von Petrus aussortieren lassen«, sagte Malenfant grimmig. »Teufel, so würde ich es auch tun.«
»Ohne das Habitat und ohne die O'Neill sind wir tot, wenn der Sauerstoff in den Anzügen verbraucht ist«, sagte Emma. »In zehn, zwölf Stunden.«
»Ich glaube, das wissen wir auch«, sagte Cornelius mit belegter Stimme.
Weitere Luken öffneten sich, und kleine Raketen mit Leinen im Schlepptau wurden abgefeuert. Die Raketen flogen über Cruithnes engen Horizont hinaus, und Emma sah Wolken aus Regolithstaub aufsteigen. Die Leinen strafften sich, und das Schiff drehte sich gemessen wie ein Ozeandampfer, der von Schleppern gezogen wurde.
»Er hat uns harpuniert«, sagte Malenfant. »Und nun zieht er sich heran.«
Es öffnete sich wieder eine Luke im Schiffsbauch. Sie sah ein Rechteck aus grauem Licht und die Konturen einer Person – eines schwer bewaffneten Soldaten. Der Soldat erschien ameisengroß.
Zum ersten Mal bekam sie eine Vorstellung von der wahren Größe des Schiffs.
Cornelius bewegte sich. »Wir müssen verschwinden. Kommt!« Er zog die Leinen aus dem Regolith, legte sich flach auf den Boden und zog sich mit den Fingern über die Oberfläche. Emma sah, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, sich zu sichern.
»Cornelius scheint es eilig zu haben«, sagte sie.
»Ich glaube, er weiß mehr als wir«, erwiderte Malenfant grimmig.
»Wir sollten ihm lieber folgen.«
Emma fiel vornüber. Cruithne-Staub wallte um sie herum auf, und halb schwebte, halb kroch sie dem fliehenden Cornelius
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