Das Multiversum 2 Raum
mögliche, über Planeten-Entstehung, Lenas langes Leben auf Triton und Madeleines seltsame Er-lebnisse zwischen den Sternen. Sie forschten sich gegenseitig aus, sagte Madeleine sich, was vielleicht auch der Zweck dieses Ausflugs war.
Lena wusste natürlich über Bens Beziehung zu Madeleine Bescheid. Schließlich schnitten sie auch dieses Thema an.
Lena hatte es schon lang vorher gewusst, bevor Ben zu den Sternen aufgebrochen war. Sie wusste, dass so etwas in einer Trennung, die sich über Generationen hinzog, unvermeidlich, geradezu zwangsläufig war. Sie selbst hatte auch Liebhaber gehabt, sogar ei-417
nen inoffiziellen zweiten Ehemann, mit dem sie Kinder hatte. Die Bande des galay und dhuway wären zu stark, sagte sie, als dass sie durch Raum und Zeit zerreißen würden.
Lena wurde Madeleine sympathisch. Sie wusste aber immer noch nicht, ob sie Lena um die Gefühle beneiden sollte, die sie mit Ben verbanden. Die Vorstellung, durch solch starke Bande für alle Zeit aneinander gebunden zu sein, mutete sie klaustrophobisch an.
Vielleicht bin ich schon zu lang allein, sagte sie sich.
Nach ein paar Stunden erreichten sie eine Polkappe. Es war eine Region mit Kantalupe-Terrain, wo jede Vertiefung mit Stickstoffschnee angefüllt war. Sie machten in der Nähe des Pols am Rand des interstellaren Raums Halt. Über sich sah Madeleine Wolken aus Stickstoffeiskristallen.
Der Pol war ein gefährliches Pflaster. Sie sah Anzeichen von Geysiren: Große Flächen, die vom Schnee befreit waren und dunkle Streifen, die sich wie die Überreste riesiger Straßen Dutzende von Kilometern durchs Land zogen. All das in Neptuns rauchi-gem Licht und unter dem funkelnden Sternenhimmel.
Es war eine bezaubernde Welt. Madeleine spürte, wie sie sich wider Willen in Triton verliebte.
Wider Willen, weil sie sich bewusst wurde, dass sie diesen Ort würde zerstören müssen.
Lena führte sie zu einer kleinen unbemannten Forschungsstation, die durch einen hellgelben Anstrich aus dem rosigen Schnee hervorstach.
»Wir führen seismische Untersuchungen durch«, sagte sie. »Stationen wie diese sind über den ganzen Triton verteilt. Immer wenn wir auch nur durch einen Schritt die Oberfläche erschüttern, pflanzen sich Wellen durchs gefrorene Innere dieser Welt fort, aus denen wir dann auf die Eigenschaften des Materials schließen.«
»Und?«
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»Sie wissen, dass Triton eine Gesteinskugel ist, die von einem Meer ummantelt wird – einem gefrorenen Meer. Aber Eis ist nicht gleich Eis.« Lena hob einen Eisbrocken auf und legte ihn auf die behandschuhte Hand. »Diese Form wird als Eis I bezeichnet. Es ist die reguläre Form von Eis, wie auf der Erde.« Sie drückte den Brocken zusammen. »Wenn ich ihn aber zerquetschen würde, dann würde die Kristall-Struktur kollabieren und in einen dichter ge-packten Molekül-Verbund umgewandelt.«
»Eis II.«
»Ja. Das wäre aber noch nicht das Ende. Es gibt eine ganze Reihe stabiler Formen, die mit zunehmendem Druck erreicht werden und bei denen die Kristallstruktur sich immer weiter von der reinen Tetraederform von Eis I entfernt. Also gibt es im Innern von Triton eine Reihe von Schichten: Eis I an der Oberfläche, auf der wir gehen, bis hinunter zu einer Schale aus Eis VIII, die den Ge-steinskern überlagert.«
Madeleine nickte, aber nicht sonderlich interessiert.
Der Schnee schien geschichtet zu sein. Je tiefer sie mit der Stie-felspitze eindrang, desto kräftiger wurden die purpur-braunen Farben der Sedimentschichten, die sie freilegte. Diese Hemisphäre trat gerade in den vierzig Jahre währenden Frühling ein, und die Polkappe verdunstete. Dünne Stickstoff-Winde würden das ganze Material der Kappe zum anderen Pol tragen, wo es dann ausfror und sich als Schnee niederschlug.
Und wenn es hier Herbst wurde, kehrte der Fluss sich wieder um. Tritons Atmosphäre war nicht beständig, sondern sie resultierte aus der Wanderung der Polkappen von einem Pol zum andern.
Und Lena war immer noch am Erzählen. »… großmaßstäbliche Umformung des Planeten ist das Gleiche wie …«
Madeleine hob die Hände. »Ich habe den Faden verloren. Was wollten Sie mir sagen, Lena?«
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»Dass es Anzeichen dafür gibt, dass Triton in der tiefen Vergangenheit manipuliert wurde.«
Madeleine lief es kalt den Rücken hinunter. »Sogar hier?«
»Wie auf der Venus. Wie auf der Erde. Nichts befindet sich noch im ursprünglichen Zustand. Alles ist umgeformt worden.«
Diese innere Schicht aus Eis VIII war kein
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