Das Multiversum 2 Raum
Malenfant an jenem Abend allein in seiner Villa war, fühlte er sich plötzlich krank.
Er vermochte das Essen nicht mehr bei sich zu behalten und meinte Fieber zu haben. Und die Hand schmerzte: Er spürte ein Brennen tief im Fleisch an der Stelle, wo das Wasser der Fontäne ihn berührt hatte.
Im Kugelhelm der EMU studierte er sein Spiegelbild. So schlimm sah er aber nicht aus. Er hatte vielleicht einen leicht glasigen Blick. Lag möglicherweise am Essen.
Er ging früh zu Bett und versuchte nicht mehr daran zu denken.
■
Er versuchte Kontakt zu Katekiro Nemoto aufzunehmen und schöpfte alle Möglichkeiten aus, um zu ihr vorzudringen.
Schließlich erklärte Nemoto sich mit allen Anzeichen des Unwillens bereit, etwas Zeit mit Malenfant zu verbringen. Sie kam zu seiner Hütte, und sie setzten sich im Schein einer Öllampe und 489
des blauen Mondes auf die große Veranda mit ihrem Holzfußboden.
Sie hatte einen Buddha mitgebracht, eine dicke hässliche Skulptur. Sie sagte, dass sie aus glasiertem Regolith des Mare Ingenii be-stünde: Mondgestein, das von der Zeit poliert worden war. Die verschrumpelte kleine Japanerin schaute zum blau-grünen Mond empor. »Und nun ist der Regolith unter ein paar Metern Erdreich begraben, durch das dicke Erdwürmer kriechen, die sich in der Schwerkraft des Mondes entwickelt haben. Wir haben überlebt, um seltsame Zeiten zu erleben, Malenfant.«
»So scheint es.«
Sie unterhielten sich weiter, aber Nemoto war nicht sehr gesprä-
chig. Um Informationen von ihr zu erhalten, musste er sie aus der Reserve locken, indem er die Sprache auf die Gaijin brachte, von denen sie besessen war – oder am besten auf die Firma Nishizaki Heavy Industries, die in ihren Augen die menschliche Spezies verraten hatte.
Mit Erstaunen vernahm er, dass sie tausend Jahre der Geschichte auf dem ›langen Weg‹ bewältigt hatte: Sie war nicht etwa von Epoche zu Epoche gesprungen, wie er und die anderen Sattelpunkt-Reisenden es getan hatten, sondern war einfach nicht gestorben.
Sie sagte ihm aber nicht, welcher Technik sie sich bedient hatte, um die übliche menschliche Lebensspanne so sehr zu verlängern.
Tausend Jahre des Bewusstseins: Ohne Zweifel wurde das von Kassiopeia und ihren mechanischen Geschwistern weit übertroffen, aber nach menschlichen Maßstäben schien eine solche Zeitspanne unerträglich. Er fragte sich, wie gut Nemoto noch auf die Erinnerungen an ihre tiefe Vergangenheit zuzugreifen vermochte, zum Beispiel an ihre erste Begegnung auf dem Mond. Vielleicht hatte sie sich der Technik bedienen müssen, um die unzähligen Erinnerungen neu zu ordnen und zu optimieren. Und während er Nemoto zuhörte, fragte er sich, inwieweit ihre geistige Gesundheit 490
und Persönlichkeit unter diesem quälend langen Leben gelitten hatten. Sie deutete dunkle Zeiten an, Abstürze in Armut und Machtlosigkeit, sogar eine – Jahrhunderte lange – Phase, wo sie als Eremit auf der Rückseite des Mondes gehaust hatte.
Obwohl sie von der Zeit beschädigt worden war, hatte sie sich eines bewahrt: Ihre unversöhnliche Feindschaft gegen die Gaijin und die Aliens, die ihnen folgten.
»Als ich die Gaijin entdeckte, glaubte ich, dass uns ein tausendjähriger Krieg bevorstünde. Nun sind tausend Jahre vergangen, und der Krieg geht weiter. Malenfant, als ich noch Einfluss hatte, versuchte ich die Gaijin einzudämmen. Ich rekrutierte das Volk der Yolgnu. Ich gründete Kasyapa Township …«
»Auf Triton.«
»Ja. Er war ein Brückenkopf, der die Gaijin daran hindern sollte, ihre industriellen Aktivitäten im äußeren System auszuweiten. Dieser Versuch ist misslungen. Nun gibt es nur noch eine Handvoll menschlicher Siedlungen außerhalb der Erde. Es gibt eine Kolonie auf dem Merkur, so nah an der Sonne, dass sie dem Zugriff der Gaijin entzogen ist … Falls sie überlebt, wird das vielleicht unsre letzte Heimat werden. Denn die Gaijin sind hier.«
Eine Motte flog gegen die Lampe. Sie fing das Insekt mit einer verkrümmten Hand und zeigte Malenfant die zerdrückten Überreste. Splitter von Glimmerflügeln. Das Schimmern von Kunststoff. Ein Schmierfilm wie von Nähmaschinenöl.
»Gaijin«, sagte Nemoto. »Sie sind hier, Malenfant. Sie sind überall und machen sich breit. Und noch Schlimmere sind unterwegs.«
Sie deutete auf die Sterne an einem Himmel, der durchs Licht des tiefen Monds trüb wirkte. Er vermochte gerade noch den Orion zu erkennen. »Sie müssen die Novae gesehen haben.«
»Sind sie
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