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Das Multiversum 2 Raum

Das Multiversum 2 Raum

Titel: Das Multiversum 2 Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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das eine vulkanische Wolke war, die er gesehen hatte, dann befand er sich auf Io.
    Trotz des klaustrophobischen Schmerzes verspürte er eine ebenso große wie unlogische Erleichterung. Er war also noch immer im Sonnensystem. Vielleicht würde er hier sterben. Aber wenigstens war er nicht gar so fern der Heimat. Das war irgendwie tröstlich.
    Aber – Io, um Gottes willen. Anscheinend lebten im Jahr 3265
    Neandertaler, die aus genetischen ›Restbeständen‹ moderner Menschen rekonstruiert worden waren, auf Io. Wieso, zum Teufel, musste er noch herausfinden.
    Die Schwärze verdunkelte sein Blickfeld wie sich senkende Thea-tervorhänge.
    ■
    Er erlangte das Bewusstsein zurück.
    Er befand sich in einer Art Zelt. Es lief wie ein Tipi kegelförmig über ihm zu. Er vermochte nicht durch die Wände zu sehen. Das 529
    Licht kam von Glühlampen. Vielleicht Relikte der Hightech-Vergangenheit.
    Er war nackt. Er hatte nicht einmal mehr den schlichten Overall, den die Strubbelkopf-Zwillinge ihm im Erdorbit gegeben hatten.
    Scheu bedeckte er mit den Händen seine Blöße. Er hatte tausend Jahre überbrückt und war Dutzende von Lichtjahren weit gereist, aber diese presbyterianische Erziehung vermochte er einfach nicht abzuschütteln.
    Leute bewegten sich um ihn herum. Neandertaler. Im Zelt zogen sie die Druckanzüge aus, warfen sie in die Ecke und gingen nackt.
    Er driftete in den Schlaf ab.
    Später kümmerte das Mädchen, das ihn durchs Sattelpunkt-Tor gezogen und über Io getragen hatte, sich um ihn. Sie gab ihm Wasser, eine breiige Speise wie heißer Joghurt und eine dünne Brü-
    he wie eine verwässerte Hühnersuppe.
    Er wusste, dass es schlecht um ihn stand.
    Durch den Kontakt mit diesem radioaktiven Haufen hatte er ei-ne Strahlenüberdosis abbekommen. Die Schleimhäute von Mund, Speiseröhre und Magen waren in Mitleidenschaft gezogen worden und lösten sich großflächig ab; etwas anderes als das Yoghurtzeug hätte er auch gar nicht hinuntergebracht. Er bekam Durchfall, ein paar Dutzend Mal am Tag. Seine Pflegerin säuberte ihn geduldig, aber er sah, dass Blut in den flüssigen Exkrementen war. Das rechte Schienbein schwoll an, bis es steif war und schmerzte; die Haut war straff gespannt und glänzte bläulich-purpurn. Am Rücken bildeten sich Blasen. Er spürte, dass die Körperhaare ausfielen, die Augenbrauen, Scham-und Brusthaare.
    Er reagierte überempfindlich auf Geräusche, und wenn die Neandertaler viel Lärm machten, bekam er wieder Durchfall. Nicht dass sie oft laut waren; sie stießen gelegentlich ein hohes Grunzen aus, doch schienen sie sich überwiegend mit Mimik und Gestik zu 530
    verständigen. Sie verzogen das Gesicht und zeigten mit Fingern aufeinander.
    Er durchlebte Phasen unruhigen Schlafs. Vielleicht lag er im De-lirium. Er vermutete, dass er sterben würde.
    Seine Neandertaler-Pflegerin war nicht von großer Statur, aber ihr Körper wirkte enorm kompakt. Sie hatte einen großen Bauch-umfang und eine richtige Tonnenbrust mit flachen Brüsten, und die Oberarmmuskeln hatten den gleichen Umfang wie Malenfants Oberschenkelmuskulatur. Die Aura der Stärke war körperlich spürbar; sie hatte eine viel intensivere Präsenz als irgendein Mensch, dem Malenfant jemals begegnet war.
    Aber was sofort ins Auge fiel, war ihr Gesicht.
    Es war unproportioniert: Die Augen standen zu weit auseinander, die Nase war abgeplattet und überhaupt waren die Merkmale des Gesichts zu großflächig verteilt, als ob es auseinander gezogen worden wäre. Sie hatte einen ausgeprägten Kiefer, aber nur ein kleines Kinn, das wie abgeschnitten aussah. Aus der Stirn wölbte sich eine dicke Wulst, eine Knochenschwellung wie ein Tumor. Sie dominierte das Gesicht und erweckte den Eindruck, dass die Augen tief in den Höhlen lagen. Das verlieh ihr den Effekt einer ver-zerrten Reflexion wie ein Embryo in einem medizinischen Gefäß.
    Eine Aufwölbung am Hinterkopf glich das Gewicht des massiven Wulsts aus. Dadurch wurde der Kopf aber so schwer, dass das Kinn fast auf der Brust ruhte und der stämmige Hals umgeknickt wurde.
    Aber die Augen waren klar und menschlich.
    Er gab seiner Pflegerin den Namen Valentina – wegen der russischen Augenbrauen. Valentina, nach der gleichnamigen Tereskova, der ersten Frau im All, der er einmal auf einer Flugshow in Paris begegnet war.
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    Valentina glich mehr einem Menschen als einem Affen, und doch war sie kein Mensch. Und es war diese gleichzeitige Nähe und Fremdheit, die Malenfant Unbehagen

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