Das Multiversum 2 Raum
Schellfisch, mit einer Sättigungsbeilage aus püriertem Seetang oder Algen. Sie aßen von Tellern, die aus einer Art Papier bestanden. Sie erfuhr, dass das Papier nicht auf Zellstoff basierte, sondern aus Chitin von Hummerpanzern.
Adamms Kleidung bestand aus Seetang – oder genauer, einem Seetang-Extrakt mit der Bezeichnung Algin. Algin ließ sich zu sei-denartigen Fäden spinnen – es war der Grundstoff der Kleidung der Kolonisten und anderer Gewebe und von Produkten wie Folien, Gels, Polituren und Farben. Algin war sogar als Nahrungs-mittelzusatz in ihrem Essen.
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Sie unterhielten sich beim Essen.
Adamm verdiente seinen Lebensunterhalt mit der Fertigung von Kunst-und Gebrauchsgegenständen aus Perlen. Er zeigte ihr eine faustgroße Perle, die er aufgeschnitten, ausgehöhlt und in einen Behälter für ein leicht berauschendes Pulver in der Art von Schnupftabak verwandelt hatte. Die Perle war exquisit, genauso wie die handwerkliche Ausführung.
Meistens arbeitete er jedoch für gewerbliche Auftraggeber; Luxus-artikel waren nur selten gefragt. Sein Kundenkreis war schließlich auf seine Mitbürger beschränkt. Sie hatte den Eindruck, dass es hier keinen Reichtum, aber auch keine Armut gab. Aber dies war Adamms Zuhause, und er war mit den Zuständen hier besser vertraut.
Sie erfuhr, dass die meisten Leute wahrscheinlich älter waren, als sie ihr erschienen. In der geringen Schwerkraft von Triton und bei den Antialterungs-Mechanismen, die vor ein paar Jahrhunderten ins menschliche Genom eingepflanzt worden waren, betrug die Lebenserwartung etwa zweihundert Jahre. Und sie hätte sogar noch höher gelegen, wären da nicht die Probleme mit der Lebenserhaltung der Kolonie gewesen. »Wir haben Abstürze und Ausfälle, Krankheiten und Vergiftungserscheinungen …«
Die Biosphäre war einfach zu klein.
Zur Zeit lebte Adamm allein. Er hatte ein Kind aus einer früheren Ehe. Er spielte mit dem Gedanken, wieder zu heiraten und noch ein paar Kinder zu bekommen. Aber es gab eine Quote.
Er lauschte wortlos ihrem Bericht über den interstellaren Krieg.
Madeleine hatte den Eindruck, dass Adamm bloß höflich sein wollte zu jemandem, der vielleicht seine Vorfahren gekannt hatte.
Sie spürte, wie die Konzentration nachließ und sie von der kulturellen Stagnation überwältigt wurde.
Nach dem Essen unternahmen sie einen Spaziergang.
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Er führte sie in einen Bereich, der wie ein Atrium aussah. Wän-de, Decke und Boden bestanden aus transparentem Material, und zum erstenmal fiel das Gefühl der Enge von ihr ab. Um sie herum erstreckte sich eine Eisschicht bis zum nahen, stark gekrümmten Horizont. Über ihr war Neptuns diesige Kugel, die langsam emporstieg, während Triton seinen langen künstlichen Tag durchlief.
Und unter ihren Füßen sah sie das Meer von Triton, in dem sich fahle weiße Geschöpfe tummelten.
»Ich erinnere mich noch daran, wie Neptun reglos am Himmel hing«, sagte sie. »Seinen Aufgang zu beobachten ist – unheimlich.
Aber dadurch bekommt Triton wohl etwas mehr Ähnlichkeit mit der Erde.«
Sie erkannte einen Anflug von Feindseligkeit in seinem Gesicht.
»Sie sind nicht die erste Reisende, die zurückgekehrt ist«, sagte er. »Was spielt es für eine Rolle, ob Triton erdähnlich ist oder nicht? Madeleine, ich habe die Erde nie gesehen. Wieso sollte ich auch?«
Diese kleine Auseinandersetzung deprimierte sie. Er hat natürlich recht, sagte sie sich; ›erdähnlich‹ musste Adamm so fremdartig erscheinen wie mir die Akkretionsscheiben-Heimat der Chaera.
Fünfzehnhundert Jahre; fünfzig, sechzig Generationen … Wir Menschen sind einfach nicht imstande, kulturelle Kontinuität zu bewahren, nicht einmal über einen so kurzen Zeitraum.
Während die Gaijin weiterfliegen.
Wie aufs Stichwort blitzte es am Himmel, irgendwo hinter der blauen Masse des Neptun.
Sie packte Adamms Hand; er zuckte vor ihrer Berührung zurück.
»Da. Haben Sie das gesehen?«
»Nein.«
Es gab auch nichts mehr zu sehen, weder ein Nachglühen noch einen weiteren Blitz. Sie fühlte sich wie ein Kind, das einen Meteor am Wüstenhimmel gesehen hatte, ein Aufblitzen, das nie-592
mand sonst gesehen hatte. »Das war nicht nur ein Licht am Himmel«, sagte sie trotzig. »Das war vielleicht die Zerstörung eines Eismonds oder eines Kometenkerns …«
»Ist das Ihr Krieg?«, fragte Adamm zögernd.
»Adamm, das ist nicht mein Krieg. Aber er ist real …«
Ein schlankes weißes Geschöpf teilte das Wasser unter ihren
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