Das Multiversum 2 Raum
sich gegen ihre Verwandten im Innern. In beiden Fällen waren die Kolonisten dazu verurteilt, immer weiter und schneller zu expandieren.
Es dauerte nicht lang, bis die Grenze der Kolonisierung mit na-hezu Lichtgeschwindigkeit nach außen verschoben wurde; und im verwüsteten Hinterland, dessen Bewohner keine Ausweichmöglichkeit hatten, brachen Wirtschaftskrisen und Kriege aus.
So würde das über Jahrtausende, vielleicht über Jahrmillionen gehen.
Und dann kam der Kollaps.
Das geschah in schneller Abfolge. Keine Blase wurde allzu groß – nicht größer als ein paar hundert Lichtjahre –, bevor sie einfach schrumpfte wie eine Bakterienkolonie unter einer Sterilisierungs-lampe. Und einer nach dem andern kamen wieder die Sterne zum Vorschein und erstrahlten in neuem Glanz, nachdem das Rot und Grün der Technik und des Lebens verblasst waren.
»Das Polynesische Syndrom«, sagte Madeleine düster.
665
»Aber es wird nicht immer so ablaufen«, knurrte Malenfant.
»Früher oder später muss eine dieser Rassen die lokalen Kriege gewinnen, den inneren Schweinehund überwinden und die Galaxis erobern. Aber wir wissen, dass das in den Milliarden Jahren der Existenz der Galaxis noch niemandem gelungen ist. Und genau das ist das Fermi-Paradoxon.«
JA, sagte Kassiopeia. ABER DIE GALAXIS IST NICHT ÜBERALL EIN SO
WOHNLICHER ORT.
Nun wurde die rotierende Galaxis mit einer neuen Abbildung überlagert: Einem hellen Funken, einer unheimlichen blauen Lohe, deren Ursprung in der Nähe des überfüllten Kerns lag. Er strahlte die Sterne auf vielleicht einem Achtel des Umfangs der galaktischen Scheibe an. Und während die Galaxis sich langsam wei-terdrehte, blitzte es wieder auf – wieder und immer wieder. Die meisten dieser Ereignisse hatten ihren Ursprung in der Nähe des galaktischen Kerns: Es musste also etwas mit den dicht gedrängten Sternen zu tun haben. Weiter draußen blitzte es auch, aber nicht so oft – in der Scheibe und in dem trüben Halo umlaufender Sterne, die die eigentliche Galaxis umspannten.
Jeder dieser Funken verwüstete eine Kolonisations-Blase im jeweiligen Raumsektor: Die Expansion wurde abgebrochen, und das Sternenlicht setzte sich wieder durch. Tod im interstellaren Maß-
stab.
■
Ihre virtuelle Perspektive veränderte sich plötzlich und wurde in die Ebene der Galaxis verlagert. Als die Spiralarme sich über ihr ausbreiteten und sich in einzelne Sterne auflösten, die über ihrem Kopf verteilt waren und aus dem Blickfeld auswanderten, schrie Madeleine auf und klammerte sich an Malenfant. Nun flogen sie 666
nach innen, in Richtung des galaktischen Kerns, und sie erhaschte einen Blick auf eine Struktur jenseits der sich aufblähenden Sterne, dieser Skulpturen aus Gas, Licht und Energie.
Schließlich richtete ihr Augenmerk sich auf ein kleines Sternen-Paar, das zornig loderte. Diese Sterne standen nah beieinander, wobei der Abstand zwischen ihnen nur ein paar Dutzend ihrer Durchmesser betrug. Die zwei Sterne umliefen sich auf wilden elliptischen Bahnen, für deren Durchlauf sie nur Sekunden brauchten. Madeleine verglich sie mit balzenden Vögeln – doch dann änderten die Umlaufbahnen sich vor ihren Augen zu immer breite-ren Ellipsen und schließlich zu schönen Kreisen.
Ein paar Gasschwaden umgaben die beiden Sterne. Im Gegensatz zu den blau glühenden Sternen war das umgebende Gas rötlich.
Weiter draußen sah sie einen ätherischen bunten Schleier, eine dünne Gasschicht, die sich vor den gedrängten Sternwolken im Hintergrund bauschte.
»Neutronensterne«, sagte Malenfant. »Vielmehr ein Doppel-Neutronenstern. Das blaue Glühen ist Synchrotron-Strahlung, Madeleine. Elektronen, die von den starken Magnetfeldern der Sterne auf enorme Geschwindigkeiten beschleunigt werden …«
Der Gaijin sagte: VIELLEICHT FÜNFZIG PROZENT ALLER STERNE IN
DER GALAXIS SIND ALS DOPPELSYSTEME KONFIGURIERT – SYSTEME
MIT ZWEI STERNEN ODER AUCH MEHR. UND EIN PAAR DIESER STERNE SIND RIESEN, DIE ZU EINER SCHNELLEN ENTWICKLUNG VERURTEILT SIND.
»Supernovae«, sagte Malenfant
DIE MEISTEN DERARTIGEN EXPLOSIONEN TRENNEN DIE DARAUS
RESULTIERENDEN RESTSTERNE. EINS VON HUNDERT PAAREN BLEIBT
AUCH NACH EINER SUPERNOVA-EXPLOSION ERHALTEN. DIE PAARI-GEN NEUTRONENSTERNE UMKREISEN SICH MIT HOHER GESCHWINDIGKEIT. SIE GEBEN ENERGIE IN FORM VON GRAVITATIONSSTRAH-LUNG AB – WELLEN IN DER RAUMZEIT.
667
Die beiden Sterne näherten sich einander an und zehrten ihre Energie auf. Die Rotation beschleunigte sich, bis sie
Weitere Kostenlose Bücher