Das Multiversum 2 Raum
Malenfant. Glaubst du, dass wir eine Art Simulation sind, die in einem riesigen Computer abläuft?«
»Das wäre möglich.« Er sagte das beiläufig, als ob er es für belanglos hielte. »Es bedarf nur einer endlichen Anzahl von Bits, um einen Menschen zu codieren. Das liegt an der Unschärfe und der Körnigkeit der Natur … Sonst würden die Sattelpunkt-Tore überhaupt nicht funktionieren. Andererseits …« Er stieß die Hand in den Boden und brachte einen Stein von der Größe eines Daumen-nagels zum Vorschein. »Falls das Universum die Größe dieses Steins hätte, wäre ein Stern so groß wie ein Quark. Es gibt Grö-
ßenordnungen und Strukturen unterhalb der Ebene eines Menschen. Es ist viel Platz dort unten.«
Sie spürte ein Pulsieren, einen Druck im Kopf. »Aber«, sagte sie, »wenn wir nur Emulationen in einem Spielzeug-Raumschiff sind, sind wir doch tot. Ich meine, wir sind nicht mehr wir selbst.
Oder? Wie ist es möglich, dass wir überhaupt noch existieren?«
Er musterte sie. »Du warst schon nicht mehr du selbst, nachdem du zum erstenmal durch ein Tor gegangen bist. Jede Transition bedeutet Tod und Wiedergeburt. Was glaubst du wohl, weshalb sie mit solchen Schmerzen verbunden ist?«
Sie fühlte sich schwach und hatte Knie wie Pudding. Vorsichtig ließ sie sich ins Gras nieder und grub die Hände in den kühlen körnigen Boden.
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Er kniete sich neben sie und nahm ihre Hand. »Hör zu. Ich wollte dich nicht so runterziehen. Was weiß ich denn schon? Ich kann auch nur Vermutungen anstellen. Ich hatte nur mehr Zeit, mich an den ganzen Kram zu gewöhnen, das ist alles. Ich weiß, dass du gekommen bist, um mir zu helfen. Ich weiß noch, wie du auf der Kanonenkugel meinen Anzug ausgebessert hast. Du warst – nett.«
Sie sagte nichts.
»Ich glaube nur nicht, dass du mir eine Hilfe bist.« Seine Gesichtszüge verhärteten sich wieder. »Oder sein wirst.«
Diese harsche Abfuhr verletzte sie tief. »Eine Hilfe wobei, Malenfant? Wieso haben die Gaijin sich die ganze Mühe gemacht – Neandertaler abzurichten, um Antimaterie auf Io abzubauen, ein Raumschiff zu bauen und es über Lichtjahre zu katapultieren?«
Ihre Frage schien ihn zu bedrücken. »Ich glaube – ich habe dieses schreckliche Gefühl, den Verdacht –, dass das alles mir galt. Ei-ne Verschwörung von Außerirdischen mit dem Ziel, mir einen Flug durch die Galaxis zu ermöglichen.« Er schaute sie an. Sie war fassungslos. »Oder ist das paranoid und größenwahnsinnig? Hältst du mich für verrückt, Madeleine?«
Hinter ihm, vielleicht einen halben Kilometer entfernt, machte sie einen neuen Schemen aus: Eine eckige, schmale Silhouette, die sich scharf gegen das Licht des Kosmos abhob.
Es war ein Gaijin.
»Vielleicht werden wir es bald herausfinden«, sagte sie.
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Sie näherten sich dem Gaijin. Er stand nur reglos und stumm da.
Madeleine sah, dass an den bleistiftdünnen Kegelstücken, die den Abschluss der Beine bildeten, Gras klebte und dass die obere Panzerung mit quasiafrikanischem Staub überzogen war.
Malenfant sagte, dass er den Gaijin wiedererkannte. Es sei der Gaijin, den er als Kassiopeia kennen gelernt hatte.
»Wirklich? Und woher willst du das wissen, Malenfant? Die Gaijin sind spinnenartige Roboter. Sehen sie denn nicht alle gleich aus …?«
Er enthielt sich einer Antwort.
Das mechanische Schweigen des Gaijin brachte Madeleine auf die Palme. Sie bückte sich, hob eine Handvoll Dreck auf und be-warf den Gaijin damit. Der Dreck prallte an der Hülle ab, ohne auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. »Du. Weltraum-Roboter.
Ihr spielt mit uns, seit ihr in unserem Asteroiden-Gürtel aufgetaucht seid. Und wenn ihr noch so fremdartig seid – ich habe die Schnauze voll von euren blöden Spielchen …«
Ihre Flüche schienen Malenfant zu schockieren. Irgendwie fand sie das lustig. Malenfant war wirklich ein Mensch seiner Zeit: Da entfernten sie sich nun mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit von der Erde, zu quarkgroßen Kopien geschrumpft oder sonst wie in einer fremdartigen virtuellen Realität gefangen, und er war schockiert über eine fluchende Frau. Aber er stand einfach nur da und wartete, bis sie sich abreagiert hatte. Eine Therapie zur Bewältigung der Schocks, denen sie laufend ausgesetzt war.
Schließlich hatte sie sich total verausgabt und ließ sich wieder ins Gras fallen.
Der Gaijin bewegte sich wie ein herumschwenkender Panzer-Turm. Madeleine glaubte eine Hydraulik zu hören, gepaart mit einem
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