Das Multiversum 2 Raum
der Wand an. Dann aktivierte sie das tragbare Labor und bestrich die Wand mit dem Laserstrahl.
Sie strich über die Wand. Die Textur glich nicht der des Mondgesteins und Regoliths auf der Oberfläche des Mondes. Vielmehr schien das Material aus einer kristallinen Substanz zu bestehen, die schimmerte und funkelte – vielleicht Quarz. Hier und dort sah sie Lehm am kristallinen Substrat haften. Obwohl der ›Lehm‹ im Vakuum getrocknet war, sah sie bunte Schlieren komplexer Verbindungen, die sich mit dem Grundstoff vermischt hatten. Das erinnerte sie an den Schlamm einer vulkanischen Quelle.
Die ersten Ergebnisse der Laboranalyse erschienen auf dem Monitor. Richtig, Quarz und Korund – Aluminiumoxid. Und überall, vor allem in diesen Lehmresten, fand sie Spuren von Schwefelsäu-re.
Nemoto wusste sofort Bescheid.
»… Schwefelsäure. Natürlich. Das ist der Schlüssel. Was, wenn diese künstlichen Seen und Flüsse mit Säure gefüllt waren? Eine saure Biosphäre ist nicht so unwahrscheinlich, wie es sich anhört.
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Schwefelsäure bleibt über eine dreimal so große Temperaturspanne wie Wasser flüssig. Natürlich lösen die Säuren die meisten organischen Verbindungen auf – haben Sie schon mal einen Zuckerwürfel in Säure geworfen? Aber Alkane – einfache geradkettige Kohlenwasserstoffe – überstehen das. Oder vielleicht handelt es sich hierbei auch um eine Biochemie auf der Basis von Silikonen, lange Ketten-Moleküle, die aus Silizium-Sauerstoff-Paaren bestehen …
Nur ein paar Mineralien vermögen einer sauren Umgebung zu widerstehen: Quarz, Korund, ein paar Sulfate. Diese Wände sind verwittert. Ihre Mutter hätte die richtigen Schlüsse daraus gezogen …
Die Venus ist ein regelrechtes Säurebad, müssen Sie wissen. Die Wolken bestehen aus Säuretropfen. Das ist ein richtiges Paradies, wenn man Säure braucht …«
Carole schaute auf die leeren Becken und versuchte sich Geschöpfe vorzustellen, in deren Adern Säure floss. Aber diese Spiel-zeugwelt war ein paar hundert Millionen Jahre alt, hatte Nemoto gesagt. Falls von den Ureinwohnern noch jemand lebte, mussten sie sich im Lauf der Zeit radikal verändert haben und sich so von den Erbauern dieses kleinen Mondes unterscheiden, wie ich mich von meinen Vorfahren aus dem Mesozoikum unterscheide.
Und wenn wir sie entdeckten – wenn wir uns berührten –, würden wir uns gegenseitig vernichten.
»… Diese Blasenwelt sollte sicher nicht für alle Zeiten um die Venus kreisen. Wir dürfen annehmen, dass hier nur die Baustelle ist und die Venus der ›Steinbruch‹. Die Blase hat fast schon die Fluchtgeschwindigkeit erreicht; nur noch ein kleiner Energieschub, und sie löst sich von der Venus – vielleicht sogar aus dem Gravita-tionsfeld der Sonne. Sie verstehen?«
»Ich glaube schon.«
»Dieser Irrläufer könnte die nächsten Sterne vielleicht schon in ein paar hundert Jahren erreichen, wobei seine Bewohner sich mit der Miniatursonne vor der interstellaren Kälte schützen …«
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Sie waren in einem fernen säurehaltigen Meer geboren und als Wanderer ins Sonnensystem gekommen. Vielleicht waren sie in einem uralten Mond gekommen, einer einzelnen Spore, die als Vorhut einer größeren Wanderungsbewegung hier gelandet war. Sie hatten Rohstoffe im Venusorbit gefunden – vielleicht einen Mond oder eingefangene Asteroiden –, die sie zerlegt und verbraucht hatten. Sie hatten noch mehr Blasenwelten erschaffen und mit Meeren aus Schwefelsäure geflutet, die sie aus den Wolken der Venus gewonnen hatten und sie anschließend losgeschickt – Tausende, gar Millionen Mond-Schiffe, die nächste Welle der Kolonisierung, um die stetige Verbreitung ihrer Art fortzusetzen.
»Das ist eine gute Methode«, sagte Nemoto. »Effizient und zuverlässig. Mit geringem technischem Aufwand die Sterne erobern.«
»Ob das die Gaijin waren?«, fragte Carole.
»… aber welch glückliche Fügung«, sagte Nemoto, »dass diese Schwefelfresser im Sonnensystem eintreffen und genau das vorfinden, was sie brauchen: Einen Planeten wie die Venus, dessen Wolken ihnen saure Meere lieferten und direkt daneben einen kleinen Mond als Rohstoffquelle. O nein, Carole, das waren keine Gaijin.
Was auch immer das Geheimnis dieser Schwefelsäuren-Biologie ist, es entspricht nicht der Natur der Gaijin. Zumal das alles viel älter ist als die Gaijin.«
Nicht die Gaijin, sagte Carole sich mit einem Schauder. Eine frühere Einwanderungswelle, ein paar hundert Millionen Jahre in der
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